Prêt-à-porter: Letzte Überlebende
■ Die triumphierende Schönheit von Naomi Campbell: Der Sex der großen alten Dame
Sex ist antiquiert. Sobald ein Designer den Körper inszeniert, landet er in der Vergangenheit. 70er-Jahre-Hotpants bei Paco Rabanne. Es gab nur drei oder vier davon, der Rest war Freizeitkleidung in Leder. 30er- Jahre-Satinkleider bei Jérôme Dreyfuss, einem ehemaligen Assistenten von Galliano: Zusammen mit langen Zigarettenspitzen und heftigem Make-up war das eine konventionelle Inszenierung der Lady als Vamp. Die Chiffonlagen bei Jean Colonna sagten Punk, wenn sie an schwarzen knielangen Röcken hingen wie abgerissene Säume.
Man muß sich nur Naomi Campbell ansehen, die letzte Überlebende der Supermodel- Ära. Die Art, wie sie die Hüften schwingt, spricht von einem kühnen Selbstbewußtsein an jedem Zoll ihrer unvergleichlichen Figur. Alle anderen Models sind blaß, legen beim Gehen den Oberkörper zurück und stampfen mit den Beinen nach vorn wie Gardeoffiziere. Neben diesen blutleeren eckigen Gestalten ist Campbells triumphierende Schönheit geradezu ein Anachronismus. Der Sex der großen alten Dame.
John Galliano ist auch so ein Dinosaurier des Sex. Und Überraschung: In seiner Dior-Kollektion raffte er sich zu alter Größe auf. Es gab kaum Dekoration, keine Federn, keine Boas und nur ein Massaihalsband. Statt dessen Kleider, die alles zitierten, was in den 20er, 30er und 50er Jahren elegant war – in einem Kindertraum. Rote Kostüme mit engen Röcken und kurvigen Jacken, elegante weite Hosen zu hohen Hacken und einer weißen Bluse, die berühmten Biasseidenkleider – immer war die Eleganz durch ein mädchenhaftes Detail gebrochen. Die Kostümjacken hatten einen Claudine- Kragen, die weißen Blusen einen Matrosenkragen, und über einem prachtvollen blauen Seidenkleid mit Schleppe trug das Model – die Haare zu Zöpfen gezwirbelt – einen enorm dicken weißen Pullover mit Noppen. Das wäre in den 50er Jahren nie passiert! Obwohl die Kleider mit höchster Perfektion gefertigt sind, wirkten sie naiv: Mädchen bei der Kleiderschrankorgie. Wie macht man das Beste aus einem unförmigen Wollkleid? Man gibt der Sache Drama! Hinten schlitzt man, vorn drapiert man, dann dreht man vor dem Spiegel die Füße in den hochhackigen Sandalen nach innen. Süß, die Kleine.
Bis jetzt war Galliano eine Ausnahme. Wenn ein Designer überhaupt Hedonismus feierte, dann den der 80er Jahre: Gib mir einen fettgedruckten Markennamen, und ich gebe dir mein Geld. Marc Jacobs, Chefdesigner von Louis Vuitton, faltete die Vuitton-Reisedecken zu Ponchos, gab den Kaschmirpullovern mit einem schmalen Gürtel ein bißchen Hippiestimmung und nutzte sie ansonsten als Unterlage für Taschen, Taschen, Taschen. Die unverschämte Selbstverständlichkeit, mit der diese Kollektion auf die gewinnbringenden Accessoires zugeschnitten war, war in ihrem fröhlichen Zynismus schon wieder sympathisch. Jacobs wird der Karl Lagerfeld der Jahrtausendwende.
Martin Margiela ist Verschwendung ein Graus. Die mit Silberfarbe bestrichenen Männerjacken sind vom Flohmarkt. Und erst die Wintermäntel! Sie sind aus dicken Bettdecken – ein Viereck mit zwei Schlitzen, aus denen Ärmel hängen. Dann werden sie in einen geblümten Bettbezug gesteckt. Es gibt noch eine dritte Lage, einen Plastikbezug. Die geblümte Bettwäsche ist übrigens auch second hand. Auf meine Frage, wieviele sie denn gekauft hätten, runzelt der Pressesprecher leicht besorgt die Stirn: „Offen gesagt, gar keine. Wir nehmen erst mal die Bestellungen auf und suchen dann auf dem Flohmarkt.“ Ein Unternehmer mit Sinn fürs Risiko. Anja Seeliger
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