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ProzessMutmaßliche Schläger von Halberstadt frei

Nach dem Überfall auf eine Schauspielergruppe hebt das Gericht Haftbefehle gegen drei von vier Angeklagten auf. Die Zeugenaussagen sind vage.

Wieder frei: Einer der Angeklagten im Halberstadt-Prozess Bild: dpa

MAGDEBURG taz Vier junge vorbestrafte Männer aus der rechten Szene, die im Juni dieses Jahres Schauspieler in Halberstadt in Sachsen-Anhalt krankenhausreif geschlagen haben sollen, sind vorerst wieder auf freiem Fuß.

Im Prozess gegen sie am Landgericht Magdeburg hob die Kammer unter Richter Holger Selig die Haftbefehle gegen drei der vier Angeklagten auf. Es bestünde kein dringender Tatverdacht mehr gegen sie, so die Begründung des Gerichtes. Der Haftbefehl gegen den vierten Angeklagten Christian W., der am ersten Prozesstag ein Teilgeständnis abgelegt hatte, wurde unter Melde-Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Die vier Männer im Alter von 22 bis 29 Jahren sind seit Oktober wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. In den frühen Morgenstunden des 9. Juni sollen sie fünf Darsteller des Nordharzer Städtebundtheaters brutal angegriffen haben. Die Tänzer und Schauspieler wollten in der Gaststätte "Spucknapf" eine Premierenfeier der "Rocky Horror Show" ausklingen lassen. Der Zutritt zur Gaststätte wurde ihnen jedoch verwehrt, weil man sie in ihrer teilweise noch getragenen Kostümierung für Punks oder Linksextreme hielt.

Eine Gruppe von bis zu zehn Rechtsextremen, die sich vor der Gaststätte einfand, soll dann wie auf Kommando auf die Theatergruppe eingeprügelt haben. Angeblich haben sie sich durch die Bemerkung einer Sängerin "Bist du schwul oder was?" provoziert gefühlt. Die Schauspieler erlitten Nasenbeinbrüche und schwere Gesichtsverletzungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Die vorläufige Freilassung der Angeklagten kommt für Prozessbeobachter nicht überraschend. Auch die Mobile Opferberatung in Magdeburg hatte nach dem Prozessverlauf damit gerechnet. Bislang hat sich nur der teilgeständige und reuige Christian W. am ersten Verhandlungstermin selbst belastet. Er räumte ein, unter starkem Alkoholeinfluss einen ersten Schlag geführt zu haben. Es habe dann ein "großes Durcheinander" gegeben, bei dem er zeitweise selbst am Boden lag.

Diese Umstände und die Dunkelheit mögen dazu beigetragen haben, dass auch in den Zeugenvernehmungen der verletzten Künstler keiner der anderen Angeklagten konkret belastet werden konnte. Christian W. hingegen ist von mehreren erkannt worden. Für Mittwoch hatten die vier Verteidiger deshalb gemeinsam einen Haftprüfungstermin beantragt. "Nach fünf Monaten Untersuchungshaft ist das nur verhältnismäßig", sagte Jens Glaser, der Rechtsanwalt von Christian W.. Damit sei aber noch nichts hinsichtlich eines Urteils präjudiziert, betonte der Anwalt.

Nachdem auch Staatsanwalt Harald Seehorsch zumindest in zwei Fällen der Haftentlassung zugestimmt hatte, entschied das Gericht zugunsten der Angeklagten. "Ein dringender Tatverdacht besteht nur dann, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Angeklagte als Täter überführt werden kann", sagte ein Gerichtssprecher. Der Prozess wird am 19. Dezember fortgesetzt und soll bis Ende Januar abgeschlossen sein. Durch einen Sicherheitsmitarbeiter der Gaststätte sind am Dienstag jedoch konkretere Hinweise auf mögliche weitere Tatbeteiligte aufgetaucht.

Bei den Ermittlungen der Polizei zu dem Schauspielerüberfall war es zu Pannen bekommen. Beamte ließen einen Tatverdächtigen zunächst laufen. Dieser und andere Fehler bei Ermittlungen gegen rechte Straftäter sind Thema eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landtages.

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3 Kommentare

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  • RG
    Rechtsanwalt Glaser

    Unter Bezugnahme auf diesen Artikel teile ich mit, daß hier durch die Angeklagten nicht fünf Monate sondern fast sechs Monate die Untersuchungshaft erlitten wurde.Den Unterschied kann nur der für marginal halten, der selbst nie U-Haft o.ä. erlebte.

    Darüber hinaus war nicht die Stellung eines Antrags hinsichtlich der U-Haft verhältnismäßig, das ist er im Zweifel immer. Es war vielmehr so, und so habe ich das Gericht bei seiner Begründung verstanden, daß es u.a. davon ausgeht, daß die weitere Verbüßung der U-Haft unverhältnismäßig wäre. Soviel zur Richtigstellung in der Sache. Ein Amtsgericht verfügt, auch wenn es in den Räumen des Landgerichts tagt, nicht über Kammern, Herr W. hat auch kein Teil- sondern ein umfangreiches Geständnis abgelegt...pp.

  • RG
    Rechtsanwalt Glaser

    Unter Bezugnahme auf diesen Artikel teile ich mit, daß hier durch die Angeklagten nicht fünf Monate sondern fast sechs Monate die Untersuchungshaft erlitten wurde.Den Unterschied kann nur der für marginal halten, der selbst nie U-Haft o.ä. erlebte.

    Darüber hinaus war nicht die Stellung eines Antrags hinsichtlich der U-Haft verhältnismäßig, das ist er im Zweifel immer. Es war vielmehr so, und so habe ich das Gericht bei seiner Begründung verstanden, daß es u.a. davon ausgeht, daß die weitere Verbüßung der U-Haft unverhältnismäßig wäre. Soviel zur Richtigstellung in der Sache. Ein Amtsgericht verfügt, auch wenn es in den Räumen des Landgerichts tagt, nicht über Kammern, Herr W. hat auch kein Teil- sondern ein umfangreiches Geständnis abgelegt...pp.

  • RG
    Rechtsanwalt Glaser

    Unter Bezugnahme auf diesen Artikel teile ich mit, daß hier durch die Angeklagten nicht fünf Monate sondern fast sechs Monate die Untersuchungshaft erlitten wurde.Den Unterschied kann nur der für marginal halten, der selbst nie U-Haft o.ä. erlebte.

    Darüber hinaus war nicht die Stellung eines Antrags hinsichtlich der U-Haft verhältnismäßig, das ist er im Zweifel immer. Es war vielmehr so, und so habe ich das Gericht bei seiner Begründung verstanden, daß es u.a. davon ausgeht, daß die weitere Verbüßung der U-Haft unverhältnismäßig wäre. Soviel zur Richtigstellung in der Sache. Ein Amtsgericht verfügt, auch wenn es in den Räumen des Landgerichts tagt, nicht über Kammern, Herr W. hat auch kein Teil- sondern ein umfangreiches Geständnis abgelegt...pp.