Prozess: Ein nicht absehbarer Unfall
Vor dem Landgericht Kiel müsen sich zwei Polizisten verantworten, die einen betrunkenen Jugendlichen auf einer Landstraße zurückließen. Dieser verunglückte kurz darauf tödlich
Die Kameraleute filmen minutenlang den Gerichtssaal. "Andere Bilder gibt es ja nicht", sagt einer der Journalisten. In der Tat gibt es keine anderen Bilder, aber diejenigen, die aus den Befragungen vor dem Landgericht Kiel entstehen, sind schlimm genug.
Es geht um den Tod von Robert S., der im Dezember 2002 18-jährig in der Nähe von Lübeck überfahren wurde. Wenige Stunden, nachdem zwei Polizisten ihn betrunken an einer Landstraße zurückgelassen hatten.
Der Prozess gegen die beiden Beamten Hans Joachim G., 58 Jahre und Alexander M., 46 Jahre alt, hat eine lange Vorgeschichte durch diverse Instanzen. Die Staatsanwaltschaft Lübeck hatte das Verfahren zweimal eingestellt, schließlich erstritten die Eltern von Robert S. in einem Klageerzwingungsverfahren den Prozess vor dem Lübecker Landgericht. Das verurteilte Hans Joachim G. und Alexander M. zu Bewährungsstrafen von je neun Monaten - was den beiden erlaubte, im Polizeidienst zu bleiben.
Doch sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidiger der beiden Polizisten legten Revision gegen das Urteil ein, daraufhin verlangten auch die Eltern des Getöteten als Nebenkläger ein Wiederaufrollen des Prozesses.
Statt wegen fahrlässiger Tötung forderten sie eine Verurteilung wegen Aussetzung mit Todesfolge. Der Bundesgerichtshof gab den Eltern recht. Das Landgericht habe zu milde geurteilt. Gestern verlasen die beiden Angeklagten Erklärungen, in denen sie jede Schuld von sich wiesen. Beide sagten, sie hätten ihre Pflicht als Polizeibeamte erfüllt und würden mit ihrem damaligen Wissensstand erneut so handeln. Alexander M. erklärte, dass der Junge, der "höflich und freundlich" gewesen sei, örtlich und situativ voll orientiert" gewirkt habe. Dass Robert S. nahe der Landdisko, die er gemeinsam mit Freunden besucht hatte, zusammengebrochen war, hätten die Beamten nicht gewusst.
Eine Zivilstreife hatte den Jungen gefunden und einen Rettungswagen gerufen. Robert S. weigerte sich jedoch, mit den Sanitätern mitzufahren. Die Angeklagten waren später von einem Ehepaar gerufen worden, auf dessen Grundstück der Junge anschließend eingedrungen war. Das Haus hätten seine Eltern gekauft, so behauptete er. Und, dass er jetzt hier schlafen wolle. Dies werteten die herbeigerufenen Polizisten G. und M. als Scherz. Sie sprachen einen Platzverweis aus. Es habe jedoch keine rechtliche Grundlage gegeben, ihn in Polizeigewahrsam zu nehmen. Statt dessen habe man sich entschieden, Robert S. nach Hause zu fahren. Dieser habe jedoch darauf bestanden, vorher auszusteigen, weil die Nachbarn nicht sehen sollten, dass er von der Polizei gebracht wurde. Dass der Junge später auf der Straße sitzend von einem Auto erfasst wurde, sei ein tragischer Unfall und nicht absehbar gewesen. Der Prozess wird heute fortgesetzt.
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