Prozess wegen Beteiligung am Völkermord: Von den Toten eingeholt
In Deutschland war Onesphore Rwabukombe als Flüchtling gut integriert. In Ruanda erinnern sich Überlebende und Mittäter des Genozids an ihn als Freund von Killern.
Es ist ein schmuckloses, aber gepflegtes Haus, mit grauem Putz und einem Gartenzaun aus Bambusstängeln. Die Nummer 03/10 prangt in Schnörkeln über der Eingangstür. Hier, im Stadtviertel Cyivugiza in Ruandas Hauptstadt Kigali, lebte einst Onesphore Rwabukombe mit Frau und zwei Kindern. Im Volksmund heißen diese Straßen das "deutsche Viertel", weil die Häuser unter Beteiligung einer deutschen Firma errichtet wurden, erzählt eine Nachbarin. Sie lebte vor dem ruandischen Völkermord Tür an Tür mit Rwabukombe. Er war Ende der achtziger Jahre der Verwalter, bei ihm mussten die Anwohner monatlich die Raten abzahlen. "Er war eigentlich ein netter Mann", sagt sie.
Die Nachbarin, nennen wir sie Christine, verlor beim Völkermord Vater, Mutter und Geschwister. Aus Angst will sie ihren wirklichen Namen nicht veröffentlicht wissen. Sie sitzt auf ihrem Sofa und kramt Dokumente des lokalen Dorfgerichts Gacaca hervor, vor dem sie als Zeugin ausgesagt hat. Onesphore Rwabukombe wurde dort am 6. Januar 2010 in Abwesenheit als Drahtzieher von Massakern im April 1994 schuldig gesprochen. In den Tagen vor dem Morden sei Rwabukombe mit Einwohnerlisten durch Cyivugiza gezogen, erinnert sich Christine. "Er hatte bewaffnete Männer dabei, denen er die Häuser der Tutsi-Bewohner zeigte", sagt sie. Ihre Schminke zerläuft mit den Tränen, die ihr über die Wange rollen.
Rwabukombes Frau Celine - damals nannte sie sich Solina - hatte 1994 neben dem Gemeindehaus eine Bar, nicht viel mehr als ein grüner Container mit Tür und Fenster. Die Gäste hockten abends auf Plastikstühlen auf der Wiese zwischen dem Container und dem knallblau gestrichenen, kreisrunden Gemeindehaus. Rwabukombes Haus liegt einige hundert Meter entfernt an der staubigen Straße.
Ein MG auf der Ladefläche
Die Stühle sind heute verschwunden, die Wiese ist ein staubiger Volleyballplatz ohne Netz, Solinas Container liegt verwaist. Die einstige Kneipe wirkt wie ein Mahnmal. Sie erinnert Christine stets an jene Tage im April 1994, als die Hutu-Milizen "Interahamwe" durch das deutsche Viertel zogen, um Tutsi zu finden. Der Hutu Rwabukombe, damals 37 Jahre alt, war zu jener Zeit Kreisvorstandsmitglied der damaligen ruandischen Regierungspartei MRND sowie Bürgermeister der Gemeinde Muvumba im Norden des Landes.
Christine weiß noch, wie in der Zeit zuvor der Pick-up mit dem Emblem der Gemeinde Muvumba an der Fahrertür durch die Straße rauschte - mit bewaffneten Soldaten und einem Maschinengewehr auf der Ladefläche. Meist sei er nur am Abend oder an den Wochenenden da gewesen, ansonsten organisierte er die Flüchtlingslager für seine Gemeinde im Osten Ruandas. Muvumba selbst war für Bürgermeister Rwabukombe nicht mehr zugänglich: Die Tutsi-Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) des heutigen Präsidenten Paul Kagame hatten es 1990 besetzt, die Hutu flohen.
Bevor das Massenschlachten am 7. April 1994 begann, habe sie Rwabukombe am Abend des 5. April in der Bar seiner Frau gesehen, erinnert sich Christine. Er trank mit stadtbekannten Interahamwe, darunter Noel Hitimana, Journalist beim Hetzradio RTLM, Präfekt François Karera, der inzwischen vom UN-Völkermordtribunal für Ruanda eine lebenslange Haftstrafe erhalten hat, und Interahamwe-Führer Robert Kajuga, heute ebenfalls verurteilt. Später hätten sich diese Männer, jedoch nicht Rwabukombe regelmäßig nach den Massakern im Gemeindehaus hinter verschlossenen Türen versammelt, berichtet sie. Danach saßen sie draußen und bestellten bei Solina Bier. Interahamwe hätten in Rwabukombe Haus übernachtet.
Flucht nach Deutschland
Fast 17 Jahre später beginnt am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der Prozess gegen Rwabukombe - der erste in Deutschland gegen einen Ruander wegen Beteiligung am Völkermord. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Rwabukombe, für den Tod von 3.730 Menschen verantwortlich zu sein.
Deutschland ist seit 2002 die neue Heimat Rwabukombes, seiner Frau und der mittlerweile drei Kinder. Ende April 1994 flüchteten sie nach Tansania, dann nach Zaire, in die heutige Demokratischen Republik Kongo, zunächst ins Flüchtlingslager Mugunga und dann in die Stadt Kisangani, von dort durch den Dschungel nach Brazzaville, der Hauptstadt der benachbarten Republik Kongo. 2002 flogen sie nach Frankfurt.
Der Ingenieur Rwabukombe spricht fließend Deutsch, er studierte dank der Ruanda-Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz und mithilfe eines Stipendiums 1982-85 Straßenbau in Trier. Rwabukombe stellte nach seiner Einreise für sich und seine Familie einen Asylantrag. Zunächst lebten sie im Asylbewerberheim Gerolzhofen bei Würzburg. Ihr Antrag wurde abgelehnt, das Gericht zweifelte an der Echtheit der Geburtsurkunde der Tochter. Die Familie zog weiter - nach Bayreuth, nach Schweinfurt, schließlich nach Erlensee bei Frankfurt am Main.
Dort bekam sie 2007 Asyl. In Erlensee hat sich die Familie gut integriert. Solina - jetzt Celine - absolvierte im Kindergarten ein Praktikum. Mit ihren türkischen Nachbarn verstehen sie sich gut. Die Bedienung der Eisdiele an der Hauptstraße nickt den Rwabukombes freundlich zu.
Für Rwabukombe kam die erste Verhaftung daher völlig überraschend. Auch er und seine Frau hätten viele Angehörige verloren, sagt er, ihre Familien seien ethnisch gemischt. Rwabukombe fürchtet, Kagames Geheimdienst sei hinter ihm her. Der heutige Präsident Ruandas wolle die Hutu-Elite auslöschen. Deswegen betrachtet er seine Verhaftung als politisches Manöver.
Doch seit 2007 steht Rwabukombe auf der Interpol-Fahndungsliste sowie auf Platz 435 der von Ruandas Justiz meistgesuchten für den Genozid Verantwortlichen. Ruandas Generalstaatsanwaltschaft sandte damals einen Haftbefehl nach Deutschland. Die deutschen Behörden nahmen Ermittlungen auf. Im April 2008 wurde Rwabukombe in der Ausländerbehörde Gelnhausen festgenommen, wo er seine Aufenthaltserlaubnis abholen wollte. Bis November 2008 blieb er in Untersuchungshaft.
Dann wurde seine Auslieferung nach Ruanda abgelehnt, Rwabukombe kam frei. Zwei Tage vor Heiligabend kam er erneut in Untersuchungshaft. Nachdem der Bundesgerichtshof den Haftbefehl im Mai 2009 wegen "nicht ausreichender" Zeugenaussagen erneut aufhob, ermittelten die deutschen Behörden direkt in Ruanda. Am 26. Juli 2010 wurde Rwabukombe wieder festgenommen.
Seine Anwältin Natalie von Wistingshausen spricht jetzt von einer "schweren psychischen Belastung". Für Völkermord gilt in Deutschland allerdings das Weltrechtsprinzip, das heißt, die deutsche Justiz darf selbst dann tätig werden, wenn die Taten nicht in Deutschland begangen wurden und der mutmaßliche Täter kein Deutscher ist, sondern sich lediglich in Deutschland aufhält. So steht Rwabukombe jetzt vor einem deutschen Gericht. Mehrfach hat Ruandas Generalstaatsanwalt Martin Ngoga die deutschen Ermittler in Ruanda willkommen geheißen. Er hat ihnen "unbeaufsichtigten Zugang zu Zeugen, Tatorten und mutmaßlichen Mittätern gewährt", sagt er.
In Ruandas Gefängnissen hätten viele Männer etwas über Rwabukombe auszusagen. Ein bulliger Mann, dessen Name nicht genannt werden kann, da er selbst noch nicht verurteilt ist, sitzt in rosafarbener Häftlingskleidung in einem kahlen Zimmer in Kigali. Der Mann begrüßte Onesphore Rwabukombe einst in Murambi, als er dort nach 1990 auf der Flucht aus seiner Gemeinde ankam. Bürgermeister von Murambi war damals Jean de Dieu Mwange. Er hat sich inzwischen vor einem Gacaca-Gericht in Ruanda schuldig bekannt, Massaker befohlen zu haben, und sitzt im Gefängnis - lebenslang.
Rwabukombe soll mit Mwange den Plan ausgeheckt haben, alle Tutsi in der Region zu töten. Regelmäßig hätten sich ab 7. April 1994 die Bürgermeister aus den umliegenden Kommunen, auch Rwabukombe, vormittags in der Kantine gegenüber der Gemeindeverwaltung in Murambi getroffen, um die Massaker vorzubereiten. Am 11. April sei bei einem solchen Treffen beschlossen worden, die über 1.200 Tutsi zu töten, die sich in die Kirche von Kiziguro geflüchtet hatten.
Noch am selben Tag begann das Massenmorden. Rwabukombe und die übrigen Bürgermeister hatten Gewehre und Macheten aus Kigali erhalten, die sie an die jungen Männer der Interahamwe verteilten. Rwabukombes Miliz sei besonders grausam gewesen, erinnert sich der Mittäter, selbst ein Interahamwe-Anführer. Als er in Kiziguro eintraf, habe Rwabukombes Miliz bereits mit dem Töten begonnen.
Blumen auf dem Altar
Die Kirche in Kiziguro ist ein lang gezogener Ziegelbau mit bunten Fenstern. Die Holzbänke, auf denen sich einst Leichen türmten, stehen in Reih und Glied. Frische Blumen schmücken den Altar. Für die Menschen in Kiziguro bleibt unvergesslich, was hier geschah. Zahlreiche Überlebende berichten, sie hätten Rwabukombe auf dem Kirchplatz gesehen, als drinnen gemordet wurde.
Auch Claudine Nyirandegeya hatte in der Kirche Schutz gesucht. Nach dem 7. April 1994 kamen immer mehr Tutsi gelaufen. Die Kirche war voll von weinenden Kindern und ängstlichen Frauen. Die heute 56-Jährige hatte Glück. Am Abend des 10. April versteckte sie sich mit ihren Kindern außerhalb der Kirche. Am nächsten Tag stürmten die Interahamwe das Gebäude. Rwabukombe habe den Befehl gegeben, Granaten zu werfen.
In einem deutschen Gerichtssaal werden diese Grausamkeiten wohl unvorstellbar bleiben. Den Überlebenden gibt es trotzdem ein bisschen Seelenfrieden, dass jetzt ein Gericht die Rolle von Onesphore Rwabukombe beim Völkermord untersucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin