Prozess um einen Papierlosen: Freiheit nicht grenzenlos

Strafprozess um einen illegal in Hamburg lebenden Türken wegen Verstoß gegen das Ausländergesetz. Gericht umgeht neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Alles nicht so einfach mit den Abschiebegesetzen: das findet auch ein Hamburger Richter. Bild: dpa

HAMBURG taz | Richter Reinhard Kloß vom Amtsgericht Hamburg-Altona nimmt das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) ganz wörtlich: Der EuGH hatte Ende April entschieden, dass illegale Einwanderer, die sich einer Abschiebungsanordnung widersetzen und sich weiter illegal in einem Land aufhalten, nicht nach Strafrecht mit Haft belegt werden dürfen.

In dem Fall des Türken Erkan P. habe die "interessante Entscheidung des EuGH keine Relevanz", befindet aber Kloß und verurteilt P. zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à fünf Euro wegen Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz. Kloß: "Es gibt bei Ihnen ja gar keine Abschiebeanordnung."

Richter Kloß macht aber gleich zu Beginn der Verhandlung deutlich, dass es eine komplizierte Rechtslage sei und empfiehlt Erkan P.s Anwalt Ünal Zeran, nach seinem Richterspruch und P.s sofortiger Haftentlassung, Sprungrevision vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht einzulegen. "Solange müssen wir mit unterschiedlichen Rechtsauffassungen leben."

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Eilverfahren über einen Fall in Italien zu entscheiden, wo ein Papierloser zu einem Jahr Strafhaft verurteilt worden ist, da er sich der Abschiebung widersetzte und weiter illegal in Italien gelebt hatte.

Nationale Strafrechts-Bestimmungen verstoßen gegen die EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG, wenn eine Freiheitsstrafe verhängt wird, weil sich jemand einer Abschiebeanordnung widersetzt.

Die Rückführungsrichtlinie regelt, welche Verfahren zur Rückführung illegaler Ausländer anzuwenden sind. Strengere Normen der EU-Mitgliedstaaten dürften nicht zur Anwendung kommen.

Die Achtung der Grundrechte der Betroffenen müssen gewährleistet werden, die freiwillige Ausreise habe absolute Priorität.

Erkan P. war am 14. April im Rahmen einer Fahndung nach einem Sexualstraftäter von der Polizei aufgegriffen worden. "Die Überprüfung ergab aber schnell, dass er nicht der Täter war", sagt Polizist Stefan G. vor Gericht.

Jedoch sei aufgefallen, dass er keine Aufenthaltspapiere hatte, so G., Recherchen hätten ergeben, dass P. bereits im Juni 2010 vom Zoll bei der Schwarzarbeiter-Kontrolle aufgegriffen worden war. Die Beamtin Gabriele H. hatte dem 27-Jährigen nach Überprüfung und Freilassung die Auflage gemacht, sich bei der Ausländerbehörde um einen Aufenthaltsstatus zu bemühen.

Das tat Erkan P. bis zur seiner Festnahme am 14. April nicht - er war einfach ohne Kenntnis der Ausländerbehörde untergetaucht. Und so wurde er wegen Verstoß gegen das Ausländergesetz dem Haftrichter vorgeführt, wo er freimütig einräumte, seit Februar 2010 ohne Papiere in Hamburg zu leben. Der Richter erließ Haftbefehl - noch vor dem EuGH Urteil.

Dass Amtsrichter Kloß im Hauptverfahren das Urteil der Luxemburger Richter grundsätzlich ernst genommen hat, zeigt der Umstand, dass er die Verhandlung für vier Tage aussetzte, um die EuGH-Entscheidung zu studieren.

Für Anwalt Ünal Zeran sind aber bereits andere EuGH-Urteile ausschlaggebend dafür, dass sein Mandant keine Straftat begangen hat. So hatte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft - wie sich damals die Europäische Union nannte - 1963 ein Assoziationsabkommen mit der Türkei abgeschlossen, das Gastarbeitern ein Einwanderungsrecht einräumt. 1965 sei ein Zusatzprotokoll unterzeichnet worden, sagt Zeran, dass Türken völkerrechtlich von der EU nicht benachteiligt werden dürften.

"Bis 1980 konnten Türken visumsfrei nach Deutschland einreisen, erst dann sei der Visumszwang eingeführt worden", beklagt Zeran. Der EuGH habe in Entscheidungen den deutschen Visumszwang für Türken als Benachteiligung gerügt. Zeran ist optimistisch, dass sich die EuGH-Rechtsauffassung in Deutschland schnell durchsetzt, so der Jurist "und solche Urteile bald keinen Bestand mehr haben".

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