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Prozeß um Mord, Liebe und Erpressung

Hatte der Tote ein Verhältnis mit einem führenden Politiker? / Ein Ex-Agent soll Informationen über tschechische Politiker verkauft haben / Mysteriöse Unfälle  ■ Von Tomas Niederberghaus und Sabine Herre

Prag (taz) – Bozena Valekova ist sich sicher. „Es war ein politischer Mord, kein Mord im Homosexuellenmilieu“. Fast jeden Tag habe ihr Sohn Stanislav Valek zu Hause angerufen und dabei stets eine „große Geschichte“ erwähnt, über die er gerade recherchiere. Doch den genauen Inhalt dieser „Geschichte“ erfuhren die Eltern nie: Der 28jährige Journalist wurde am 21.11.1991 in seiner Wohnung in Prag 9 erstochen. Die Experten der Polizei wähnten den Mörder stets in dem Milieu, in dem sich Valek bewegte. Der – bis heute unbekannte – Täter hatte Valek die Kehle durchgeschnitten und mehrmals ins Herz gestochen. Wer glaubt da nicht an ein „grausames Eifersuchtsdrama“.

Der Tod des jungen Homosexuellen war somit nicht einmal der Szenezeitschrift „Soho“ einen Artikel wert. Erneut in die Schlagzeilen der tschechischen Medien kam Valek jedoch im Zusammenhang mit der bisher dicksten Affäre im postrevolutionären Prag, zu der heute der Prozeß eröffnet wird: Václav Wallis, Ex-Stasiagent und Mitarbeiter des nach 1989 gegründeten förderalen Geheimdienstes FBIS, soll an Viktor Kozeny, Leiter eines der größten tschechischen Investitionsfonds, nicht nur Wirtschaftsdaten, sondern auch Informationen über das Privatleben führender Politiker des Landes verkauft haben. Diese Materialien enthalten nach Berichten mehrerer tschechischer Zeitungen auch die Information, daß Valek eine intime Beziehung zu einem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Tschechoslowakei hatte.

Im April dieses Jahres berief sich die Wochenzeitung Respekt auf eine Quelle der militärischen Staatsanwaltschaft und schrieb, daß der jetzige Premier Václav Klaus Valeks „Lover“ war. Klaus qualifizierte diese Äußerung wenige Wochen später als „Luftblase“ ab. Allerdings wollen auch zwei der taz bekannte – und aus unterschiedlichen Milieus stammende – Zeugen von einem Verhältnis zwischen Klaus und Valek wissen.

Die Frage, ob einer der angesehensten Politiker des Landes in den Mord an Valek verwickelt ist, wurde von den Medien nicht mehr gestellt. Aus Furcht vor der „Destabilisierung“ der Republik wollten gerade regierungsfreundliche Journalisten „nicht im Schmutz wühlen“. Im Unterschied zu Rumänien ist Homosexualität in der Tschechischen Republik zwar nicht strafbar, für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung steht jedoch fest, daß es sich hier um etwas „Abnormales“ handele. Daß die Homosexualität eines führenden Politikers zu dessen Rücktritt führen muß, diese Ansicht vertreten selbst Mitglieder der Partei des Premiers. Klaus selbst äußerte sich nur zum Fall Kozeny: Es sei völlig absurd, daß der Chef des Havard-Investitionsfonds Materialien gekauft habe.

Lediglich die unabhängige Tageszeitung Lidové Noviny war zumindest einige Tage lang bemüht, die offenen Fragen des Mordfalls Valek neu zu thematisieren. Und von diesen Fragen gab es jede Menge. So hatte ein Freund des Journalisten zu Protokoll gegeben, daß ihm Valek noch am Abend vor seiner Ermordung von einer Beziehung zu einem „stellvertretenden Ministerpräsidenten“ erzählt habe. Den Namen – in der ČSFR gab es fünf Stellvertreter – nannte er jedoch nicht; die Spur wurde nicht weiterverfolgt.

Das Ehepaar Valek wurde über den Tod ihres Sohnes erst nach fünf Tagen informiert. „Wir haben Stanislav nie tot zu Gesicht bekommen. Das hat die Polizei nicht zugelassen“, erklärt Bozena Valekova in einem Gespräch mit der taz. Und erst drei Monate später durften sie seine Wohnung betreten. Eine Erinnerung an ihren Sohn konnten sie hier jedoch nicht finden: Alle persönlichen Unterlagen wie Aufzeichnungen, Adressen und Fotos waren verschwunden. Erstaunt waren die Eltern aber auch darüber, daß die Untersuchungsbehörde sie nicht als Zeugen vorlud. „Sie wollten von uns nichts wissen, was zur Aufklärung des Mordes hätte beitragen können. Namen von Freunden interessierten sie nicht.“ Angesichts dieses Ermittlungseifers wundert es dann auch nicht, daß die Untersuchung ergebnislos eingestellt wurde.

Unklar ist auch der Ablauf der Verhaftung von Wallis. So soll sich Kozeny mit dem Agenten seit Frühjahr 1992 acht- bis zehnmal getroffen haben, Anzeige wegen Erpressung erstattete er jedoch erst im Dezember. Wallis Wohnung wurde der tschechischen Presse zufolge nicht gleich nach seiner Verhaftung, sondern erst einige Tage, wenn nicht Wochen später durchsucht. Kein Wunder, daß die Polizisten nur noch wenig Beweismaterial sicherstellen konnten – statt dessen fanden sie einen noch warmen Ofen voller Asche.

Das Desinteresse der tschechischen Medien an all diesen Fragen läßt sich freilich auch mit den bei der Recherche entstehenden Schwierigkeiten erklären: So waren Mitarbeiter des Rundfunks, für die Valek als Regierungsberichterstatter arbeitete, zu telefonischen Auskünften nicht bereit, da sie vermuteten, abgehört zu werden. Unmöglich war es auch, die Telefonnummer der Aktiengesellschaft „Frei Zone Ralsko“ zu erhalten. Das Unternehmen wurde in den vergangenen Monaten für die „Ermittlungen“ sowohl in der „Affäre Wallis“ als auch im „Mordfall Valek“ immer wichtiger: Es galt als Mitbewerber im Privatisierungsprozeß des früheren russischen Militärflugplatzes Ralsko, ein insgesamt 250 Quadratkilometer großes Objekt von nationalem Interesse.

Unter den Materialien, die Wallis Kozeny angeboten haben soll, befanden sich nach Angaben der Prager Blätter auch Informationen über Ralsko. Und wie Valeks Eltern erklären, recherchierte Stanislav zum gleichen Thema. Ist Ralsko jedoch so bedeutsam, daß der Journalist aus diesem Grund sein Leben verlor?

Valek war nicht der einzige, der in die Geschichte direkt oder indirekt involviert war und ermordet wurde. „Zufällig“ bei Autounfällen starben nach Valeks Tod vier weitere Menschen: Ein Jurist sowie ein Student, der seinerzeit an der Verarbeitung früherer Geheimdienstunterlagen beteiligt war. Ein Mitarbeiter der amerikanischen Firma Westinghouse, die einen interkontinentalen Flughafen auf dem ehemaligen Militärgebiet finanzieren wollte. Und Petr Podlesak, der nach Angaben der Zeitung Mladá fronta dnes dieselben Informationen besaß wie Wallis. Podlesak war Vorsitzender der AG „Frei Zone Ralsko“. Bei dem Unfall im Juli dieses Jahres verschwanden aus seinem Auto 300.000 Kronen.

Bis zum heutigen ersten Prozeßtag saß Václav Wallis im Pilsener Gefängnis. Ihm drohen bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug. Die Staatsanwaltschaft hatte es abgelehnt, ihn gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen. „Dann ist er wenigstens in Sicherheit“, erklärte Wallis Frau gegenüber der Presse, „und kommt nicht bei einem Autounfall ums Leben.“

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