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Protokoll-betr.: DSU

Donnerstag, 1. März 1990

Für 17. 30 Uhr war auf dem Weimarer Theaterplatz eine Kundgebung der DSU mit dem bayrischen Ministerpräsident Straibl angekündigt. Unter den circa 500 Leuten, die gekommen waren, gab es eine Gruppe von etwa 30 bis 40 vor allem junger Leute, die mit dem Auftritt Straibls in Weimar nicht einverstanden waren. Eine junge Frau hatte ein Transprarent, auf dem sinngemäß stand 'Denk ich an Großdeutschland - denk ich an Auschwitz‘. Als sie das Transprarent entrollte, war ich noch nicht auf dem Platz. Ich kam erst, als es bereits am Boden lag. Die junge Frau weinte, sie war sofort bei Entrollen des Transparentes von DSU-Anhängern tätlich angegriffen worden. Wir hatten noch einige kleinere Plakate. Auf meinem stand: „Straibl, geh hoim zu dei‘ Weibl“. Ich stand ruhig, ohne Tätlichkeiten, und hielt das Plakat hoch. „Mach das weg, sonst kriegst du ein paar in die Fresse“, „Die wollen uns provozieren“, „Rote Schweine“ bekamen wir zu hören. Nach circa fünf Minuten riß mir ein Mann das Plakat aus den Händen und beschimpfte mich wild. Der DSU-Sprecher, Prof Walther, hielt zuerst eine Rede, danach Straibl. Über den Inhalt meiner Rede möchte ich mich nicht im einzelnen äußern - hängengeblieben sind solche Äußerungen wie „die deutschen Kornkammern in Oberschlesien“, „es soll ja Leute geben, die der gleichgeschlechtlichen Liebe frönen“ und in unserer Richtung: „Mit solchen wie denen werden wir auch noch fertig, die haben ja ihr Gehirn im Hintern“ und „Weimar ist das Beste, was Deutschland zu bieten hat“ (Buchenwald liegt etwa fünf Kilometer vom Theaterplatz).Straibl verwies darauf, daß vor kurzem dem Goethe- und Schiller-Denkmal ein Schild umgehängt wurde, auf dem stand: „Wir bleiben hier.“, und kommentierte: „Auch wir blei

ben hier, die da (in unsere Richtung) können ja gehen“. Johlender Beifall der Menge. (Bemerkung am Rande: Das „Wir bleiben hier“ hatten wir bei einer Demonstration am 19. November dem Denkmal auf meine Idee hin umgehängt.

Bei den oben genannten Äußerungen Straibls pfiffen wir daraufhin wurde eine Anzahl der DSU-Fans tätlich, sie drängten uns mit Schlägen und Schieben in Richtung Theater. „Stasi-Schweine“, „Rote raus“ und „Für Euch müßte man die Öfen wieder anheizen“.Nach dem lautstarken Abspielen des Deutschlandliedes ging die Kundgebung unter Beifall der Zuhörer zu Ende. Ich ging mit meinen Plakatfetzen nach Hause und träumte den Rest der Nacht von Leuten, die auf mir rumtrampelten.

C. S., Weimar

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