Kuckensema: auf Bremens Leinwänden : Prophetische Vision: „Forgotten silver“ von Peter Jackson
Im heutigen Filmgeschäft gibt es kaum ein erstaunlicheres Phänomen als die Karriere von Peter Jackson. Noch 1999 hielt es die Redaktion des Rowohlt Filmlexikons nicht für nötig, ihn als einen der rund 500 „wichtigen“ Filmemacher in den Band „Regisseure und Kameraleute“ aufzunehmen. Inzwischen hat er mit seiner „Lord of the rings“-Trilogie die erfolgreichsten Filme des neuen Jahrtausends gemacht und wurde dafür mit Oscars überschüttet.
Die wieder einmal kränkelnde Kinobranche setzt große Hoffnungen darauf, dass im Dezember sein „King Kong“ die Kinokassen wieder süß klingeln lässt. Und anders als Quentin Tarantino, der es nicht verstand, seinen ähnlich spektakulären Erfolg in den 90er-Jahren zu einer Machtposition in Hollywood auszubauen, weil er lieber feierte und sich feiern ließ, hat Jackson in seiner neuseeländischen Heimatstadt Wellington eine ganze Filmindustrie aufgebaut, die nun ihm zusammen mit einer Handvoll von engen Mitarbeitern gehört.
Dieser Komplex von Firmen und Werkstätten wird inzwischen nicht umsonst „Wellywood“ genannt und die amerikanische Filmwissenschaftlerin Kristin Thompson stellte vor einigen Monaten auf dem Bremer Symposium zum Film im Kino 46 in ihrem Referat „Hollywood, Wellywood und Peter Jackson“ die These auf, dass er dort „eine eng verbundene Gruppe von Firmen gründete, die im wesentlichen die Abteilungen eines Hollywood-Filmstudios der klassischen Ära kopierten“.
So sieht man heute einen kleinen Film, den Jackson 1996 aus Jux gemacht hat, mit ganz anderen Augen. „Forgotten silver“ wirkt inzwischen wie eine prophetische Vision, denn damals tat Jackson nichts anderes, als sich ein historisches „Wellywood“ zu erträumen; oder prosaischer gesagt: es zu fälschen. Anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Kino“ versuchten damals Filmhistoriker aus aller Herren Länder zu beweisen, dass ihre heimische Filmkultur jeweils die erste, beste, fruchtbarste und originellste war. Die Neuseeländer waren dabei leicht im Nachteil, weil es schlicht keine Filmpioniere in ihrem Land gab. Aber dadurch ließ sich Peter Jackson nicht verdrießen: Er erfand einfach ein vergessenes Filmgenie, dessen Erfindungen und Meisterwerke die von Edison, Lumière, D.W. Griffith und Orson Welles in den Schatten stellten.
Als das „vergessene Silber“ des Titels entpuppen sich ein paar verstaubte Filmbüchsen, nach deren Entdeckung die Filmgeschichte neu geschrieben werden musste. Es gibt keinen technischen oder künstlerischen Durchbruch in der Filmgeschichte, den der Filmpionier Colin McKenzie in Neuseeland nicht schon lange vor den berühmten Amerikanern und Europäern entwickelt hat. Tonfilm, Farbfilm, Kamerafahrt, Monumentalschinken und das damals gerade aktuelle Rodney-King-Video: All das ist eigentlich auf seinem Mist gewachsen und dies wollten damals die neuseeländischen Patrioten so gerne glauben, dass Millionen Fernsehzuschauer die offensichtliche Fälschung für bare Münze nahmen. Jackson übertreibt so maßlos und komisch, dass man sich nur über die Leichtgläubigkeit der TV-Konsumenten wundern kann.
Die Fälschung an sich ist indes perfekt gelungen: Die Ausschnitte aus den Werken McKenzies wirken nicht nur auf den ersten Blick authentisch, und in den eingeschnittenen Interviews flunkern Autoritäten des neuseeländischen und internationalen Kinos wie der Schauspieler Sam Neill und der Studioboss Harvey Weinstein sehr überzeugend über die immense Bedeutung des Werkes von McKenzie. Die logischen und filmischen Fehler, an denen man die Schummelei entdecken kann, sind als witzige Pointen gesetzt. Etwa durch solche absurde Übertreibungen wie den ersten (natürlich von McKenzie gedrehten) Tonfilm der Welt, der nur deshalb klein Erfolg wurde, weil alle Schauspieler darin chinesisch reden und McKenzie noch nicht auf die Idee mit der Synchronisation gekommen war.
Und dann ist da die Einstellung, in der die Filmforscher im Dschungel McKenzies vergrabene Kulissenstadt entdecken und die seit über fünfzig Jahren verschlossene Tür zu den Gewölben öffnen, in denen sie schließlich die Filmrollen seiner größten Werke finden. Die Kamera filmt dieses Türöffnen aus einer Position im Gewölbe selber heraus: um diese Aufnahmen zu ermöglichen, hätten sie und der Kameramann ebenfalls all die Jahre vergraben gewesen sein müssen.
„Forgotten silver“ feiert nicht nur das klassische Kino, sondern steht auch stilistisch in der langen und alles andere als ehrenwerten Tradition der „hoaxes“, die 1938 durch Orson Welles mit seiner Hörspielfassung von G.W. Wells „Krieg der Welten“ begründet wurde, die damals eine Massenpanik auslöste. Dieses historische Tondokument wird nun am Dienstagabend um 22.15 Uhr vor der Vorpremiere von Steven Spielbergs Neuadaption des Romans bei freiem Eintritt in der Schauburg vorgeführt. Also: Hörensema! Wilfried Hippen
„Forgotten silver“ läuft in der Originalfassung Fr & Sa um 22.30, So um 18.00 und Di um 20.30 Uhr im Kino 46.