Prominenter Parteiaustritt: Genug von der Scholz-SPD
Carola Ensslen, SPD-Distriktsvorsitzende in Eimsbüttel-Nord wechselt zur Linkspartei. Ihr Grund: Der autoritäre Führungsstil des Bürgermeisters.
Die erste prominente Sozialdemokratin hat genug von der Hamburger Scholz-SPD und zieht die Konsequenzen. Die SPD-Distriktsvorsitzende von Eimsbüttel-Nord, Carola Ensslen, verkündete am Dienstag offiziell ihren Wechsel von der SPD in die Linkspartei.
In einem Schreiben begründet sie ihren Schritt mit einem Politikstil innerhalb der Partei, den sie „nicht mehr akzeptieren“ könne. Er sei „gekennzeichnet durch eine Fokussierung auf den (...) Landesvorsitzenden Olaf Scholz, dessen autoritärer Führungsstil die innerparteiliche Lebendigkeit erstickt“. Ensslens Fazit: „Die SPD in Hamburg hat das Vor und Weiterdenken eingestellt.“
Als inhaltliche Punkte, die den Bruch zwischen ihr und der Partei, der sie seit 2001 angehörte, massiv beförderten, nennt die Rechtsanwältin den Konflikt um die Rekommunalisierung der Energienetze und den Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen. Obwohl das eigene Parteiprogramm eine Rekommunalisierung bis zu 100 Prozent in Aussicht stellte, habe Scholz im Alleingang die Begrenzung auf 25,1 Prozent festgeschrieben – innerparteilicher Widerspruch sei „nicht erlaubt“ gewesen.
Bei den Flüchtlingen verstecke sich die SPD „hinter ’Recht und Gesetz‘, obwohl sie politische Gestaltungsräume nutzen könnte“. Als weiteren Austrittsgrund nennt Ensslen, dass die überwältigende Mehrheit der SPD-Mitglieder die große Koalition befürwortet hat: „Das brachte einmal mehr das Gefühl mit sich, in dieser Partei nicht zu Hause zu sein.“ Ensslen hatte ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis befürwortet.
Erst Ende Januar war die 53-Jährige mit großer Mehrheit zur SPD-Distriktsvorsitzenden gewählt worden, ein Amt, das sie schon bis 2012 bekleidet hatte. Auf der Homepage der Eimsbütteler SPD findet sich noch ein von Ensslen verfasstes Schreiben an die „lieben Freunde der SPD in Eimsbüttel“, indem sie sich freut „mit euch in den Bezirks und Europawahlkampf zu gehen“.
Den wird sie nun mit anderen Genossen bestreiten: Da sie weiter für einen gesellschaftlichen Wandel einsetzen wolle, habe sie sich für einen Eintritt in die Partei Die Linke entschieden. Die lege „die Finger in die Wunden sozialdemokratischer Regierungspolitik“.
Das aber tut Ensslen mit ihrer Austrittsbegründung im anlaufenden Bezirks und Europawahlkampf erst einmal selbst. „Sie spricht das aus, was viele an der Basis denken“, sagt ein Eimsbütteler SPD-Mitglied, das lieber ungenannt bleibt und davon ausgeht, dass weitere Austritte über kurz oder lang folgen.
Das offen auszusprechen, was andere Genossen nur hinter vorgehaltener Hand preisgaben, gehörte schon immer zu Ensslens Hobbys. Seit 2001 war sie Mitglied in der SPD und eckte hier wiederholt an. So leitete der Eimsbütteler-SPD-Kreisvorstand ein Parteiordnungsverfahren gegen Ensslen ein, nachdem sie im Bundestagswahlkampf 2009 angekündigt hatte, ihre Erststimme nicht dem innerparteilich umstrittenen Eimsbütteler SPD-Direktkandidaten Danial Ilkhanipour, sondern dessen CDU-Konkurrenten zu geben. Mit einer Rüge kam sie davon. Auch ihr Engagement für einen Komplett-Rückkauf der Netze löste innerparteilich einigen Wirbel aus.
Bei der Linkspartei löste die geschickt getimte Wahlkampfunterstützung Jubel aus. „Wir freuen uns sehr, dass Carola Ensslen in Die Linke eingetreten ist. Ihre öffentliche Kritik an der Flüchtlingspolitik des SPD-Senats und dem autoritären Führungsstil von Olaf Scholz als Bürgermeister verdient unsere Anerkennung“, kommentierte Parteisprecher Bela Rogalla und bereitete zugleich Ensslens neue Parteikarriere vor: „Besonders freuen wir uns, dass Carola Ensslen ihre Bereitschaft zur Kandidatur für den Landesvorstand der Linken erklärt hat, der 2014 neu gewählt wird.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss