Projekt "Tweetscapes": Twitter zum Hören
Tweetscapes ist ein Projekt von zwei Berliner Musikern. Sie setzten den deutschen Twitter-Stream eins zu eins in Musik um. Es ist mehr als nur eine reine Spielerei.
![](https://taz.de/picture/230523/14/Bildschirmfoto_tweetscapes_01.png)
Es ist immer viel von Überforderung die Rede, wenn es um das Echtzeit-Internet geht und um Live-Streams. All diese Fluten von Daten, die sie hervorbringen! Dieser Kontrollverlust! Man ersäuft ja quasi in den ganzen Meldungen, Tweets und Statusupdates. So klagen es die Skeptiker von Frank Schirrmacher bis Frank Schmiechen.
Dabei ist es eine Frage der Hilfsmittel. Wenn das eigene Hirn nicht mehr ausreicht, die ganzen Ströme, die Überfülle des Internets brauchbar zu machen, muss man auf Filter zurückgreifen: Sie begrenzen die Datenmengen und machen den Konsumenten wieder entscheidungsfähig.
Das klingt furchtbar funktional, aber es geht natürlich auch ganz anders, verspielter und fantasievoller: Tweetscapes ist so ein Projekt, das nicht auf Beschränkung setzt, sondern auf synästhetische Effekte: Es setzt den deutschen Twitterstream eins zu eins in Musik um.
"Jedes auf Twitter besprochene Thema", schreibt Anselm Venezian Nehls im Blog zum Projekt, "erzeugt einen charakteristischen Klang, so dass sich inhaltliche Zusammenhänge abstrahiert auch in der Soundscape wiederfinden und intuitiv mit den Ohren wahrgenommen werden können." Unterstützt von visuellen Effekten – auf einer Deutschlandkarte ploppen immer wieder auf Twitter genutzte Schlagworte auf – ergibt sich so ein Klangteppich, der Twitter in Töne übersetzt.
Auswege aus dem Datenoverload
Entwickelt haben die Seite Anselm Venezian Nehls und Carl Schilde, in Zusammenarbeit mit Deutschlandradio Kultur und dem Citec Institut der Uni Bielefeld. In Bielefeld arbeitet Thomas Herrmann mit an dem Projekt, im Rahmen einer ganzen Forschung über Sonifikation, also der Übertragung komplexer Datensätze in Musik.
Im Interview mit Dradio Breitband erklärt er, dass diese Umsetzung – beispielsweise von Aktienkursen oder Wetterdaten – nicht nur reine Spielerei ist, sondern ein Sinn darin bestehen könnte, diese Daten beispielsweise radiokompatibel zu machen oder blinden Menschen zugänglich. Aber auch in der neurologischen Forschung, der Geophysik und der Astronomie öffnet sich ein breites Anwendungsfeld.
Tweetscapes ist dabei nur ein Projekt unter vielen, wenn auch ein sehr markantes. Seit den frühen Neunzigern wird in Kunst und Naturwissenschaften immer mehr an Verklanglichung gearbeitet – allerdings standen die Verfahren immer im Schatten ihres Verwandten im Geiste, die Datenvisualisierung.
Beide Ansätze eint ein gemeinsames Unterfangen: Sie bieten zeitdiskrete Auswege aus dem Datenoverload und dem daraus resultierenden Kontrollverlust. Skepsis, hör die Signale.
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