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Progressive-Rock aus TeheranMischpult im Untergrund

Die iranische Jugend musiziert im Keller oder im Ausland. Ein Besuch bei der Teheraner Rockband Dash, die nicht politisch sein will, es aber mit ihrer Sehnsucht und ihrer Ästhetik doch ist.

Musiker, ein Beruf für den man im Iran eigentlich eine Genehmigung braucht: Dash im Proberaum. Bild: Roshanak Zangeneh

Die soziopolitische Realität des Iran scheint so komplex geworden, dass die kreative Speerspitze des Underground-Rock in den Skeptizismus flieht: Anstatt sich der Gefahr des politischen Irrtums auszuliefern, singen Dash über ein sich selbst undurchsichtiges Ich. Dieses ist männlich, steckt in einem melancholie-gestählten Prog-Rock-Leib und hat mörderische Probleme mit Frauen.

"Die Macht der Liebe, oder doch eher die Liebe zur Macht? / Modernismus versus traditionelle Tracht / Wir leben auf der Achse des Bösen / während ramponierte Karren im Geschwindigkeitswahn tösen / Sagt nicht, ihr hättet nichts zu essen / Ihr habt jede Menge Yellow Cake - schon vergessen?" Mit diesen Zeilen eröffneten die iranischen Rock-Pioniere von Kiosk im vergangenen Jahr ihre hellsichtig-brabbelnde Litanei "Eshgh-e Sorat" ("Geschwindigkeitswahn"). Ein Album, das nahelegte, die bizarre iranische Lebenswirklichkeit sei nur noch in einem Netz von Paradoxien einzufangen. Aber irgendwo zwischen Fundamentalismus und expandierender Fastfood-Kultur, zwischen neoimperialer Außenpolitik und idiotensicheren Multiple-Choice-Wahlen, zwischen barfüßigen Kindern und chinesischer Wirtschaftswunderdynamik lässt sie sich vielleicht doch noch nachzeichnen, die Dynamik jenes unübersichtlichen Lebensstroms namens Iran. 70 Millionen Menschen, von denen 60 Prozent jünger als 30 Jahre sind, schwimmen darin. Die Revolution kennen sie bestenfalls aus Filmen und Erzählungen.

Mit seinen rotblonden Locken sieht Maani ein wenig aus wie Ginger Baker, als er Ende der Sechziger bei The Cream trommelte. Der 26-Jährige ist Gitarrist der Teheraner Progressive-Rock-Band Dash und nicht willens, in Songtexten politischen Verallgemeinerungen Raum zu geben. Schon die Sorgen Gleichaltriger in Südteheran seien ihm ja vollkommen fremd, sagt er. "Ich verstehe kaum, was in meiner Stadt sozial vor sich geht, wie soll ich da zu allgemeinen politischen Aussagen gelangen?" Er findet es daher gut, bloß seine "ureigensten Gefühle und Gedanken" zum Ausdruck zu bringen, wie es ihr Sänger Babak mache. "Da kann wenigstens keiner kommen und sagen: Das stimmt nicht!" Milad fummelt derweil am Mischpult, nimmt seine Drumsticks aus dem Mund und sagt: "Ich finde nicht, dass es in unserer Musik nur darum geht. Es geht um das Scheitern einer Beziehung. Und das ist letztlich etwas Soziales, oder?" Siavash ist ein Jahr älter als seine Bandkollegen und schweigt, ein eloquentes Bassisten-Schweigen.

Die Band probt zwischen zwei Stadtautobahnen in einem kleinen Gewerbegebiet im Nordosten Teherans. Der winzige Raum im Keller einer Baufirma ist ein schlechter Ort, um den Unterschied zwischen dem Sozialen und dem Politischen zu präzisieren oder gar die politisch-unvermittelte Selbstgewissheit eines - keinesfalls transzendentalen, sondern doch eher männlichen - Subjekts anzuzweifeln. Es beschleunigt die Kommunikation, wenn man stillschweigend Vokabeln lernt: Unter "Politik" verstehen Iraner zumeist etwas, das sich irgendwo im Rücken der Gesellschaft vollzieht. Die vielen Sorgen hingegen, mit denen man allein oder mit Hilfe der Familie klarkommen muss, werden als "sozial" eingeordnet. Hartnäckige soziale Probleme, die man schwer erklären und noch schwerer beheben kann, gelten als "kulturell". In diesem Sinne findet Maani, es sei "kulturell bedingt", dass die Teheraner ihre Stadt so mit Müll verdrecken oder den Musikerberuf partout nicht als ernsthafte Tätigkeit ansehen mögen. "Das sind kulturelle Dinge, mit denen ich hier gar nicht klarkomme", sagt er. Wer die frivolen Performances iranischer Hochzeitsmusikanten kennt, versteht Maani (und seine Mitmenschen) besser. "Wer heiratet denn heute?", fragen ihn die Taxifahrer, wenn er mit seinem Gitarrenkoffer unterwegs ist.

Bevor die Probe losgeht, schnappen wir noch mal schnell frische Abgase: Tausende von Autos wälzen sich Stoßstange an Stoßstange eine riesige schiefe Ebene herauf, die von einem grau-rosa Dämmerlicht und dem gigantischen Elburzgebirge im Norden umschlossen wird. In den Hochhäusern ringsherum gehen die Lichter an. Vielleicht muss man ja hier Progressive-Rock machen, denkt der Musikus im Reporter und kreischt den "21st Century Schizoid Man" von King Crimson in sich hinein - "Nothing hes got he really needs", heißt es in diesem Ur-Prog-Rock-Song schlechthin. Im Keller ist man inzwischen verkabelt und gestimmt und wartet auf den Einsatz. Den gibt die Maschine - wie von Geisterhand erklingen Wah-Wah-Gitarre und Gesang: "Obwohl die Geliebte im Hause weilt, suchen wir in der ganzen Welt nach ihr", frohlockt eine aufgekratzte Stimme.

Seit bald sechs Jahren spielen Dash zusammen, doch seitdem Sänger Babak, 26, nach Australien gegangen ist, um sein Studium der Materialwissenschaften abzuschließen, und Multiinstrumentalist Makhan, 23, in Europa weilt, hat sich die Arbeitsweise der Band drastisch verändert, berichtet der IT-Ingenieur Milad am Laptop: "Hier sind die Klick-Tracks mit Tonspuren von der Platte. Wir hören also Rhythmusinformationen und spielen zu den grundlegenden Parts unseres Sängers und Gitarristen. So können wir das Proben zumindest simulieren."

Auf dem Osnabrücker Morgenland-Festival waren Dash kürzlich zu sehen. Eine der seltenen Anlässe, bei der die Band wieder zusammenfindet, wie vor zwei Jahren bei den Aufnahmen zu ihrer letzten CD. Ein Jahr haben Dash in Teheraner Studios gearbeitet. Doch seitdem sie im Frühjahr das fertige Album "Si" zum Herunterladen auf ihrer Homepage (www.dash-band.com) freigegeben haben, konnten sie nicht mehr in voller Besetzung spielen.

Das leidige Thema lockt sogar Siavash aus der Reserve: "Im Iran können wir momentan weder etwas Neues ausprobieren noch unsere CD vermarkten." Neben dem fundamentalen Medium Internet ist Mundpropaganda das einzige Marketingwerkzeug, das der iranische Underground kennt. "Bei den 20- bis 30-Jährigen kommen wir dennoch sehr gut an", vermeldet Webmaster Milad. Die Statistiken der Website scheinen dies zu bestätigen, ebenso der zweite Platz beim diesjährigen virtuellen Musikfestival des NetZines "Tehran Avenue". Dash treffen die Stimmung vieler Jugendlicher.

Dennoch haben Dash gar nicht erst versucht, beim Ershad-Ministerium für Kultur und islamische Führung die diversen Genehmigungen für die Veröffentlichung einer CD zu bekommen. Denn die Zensurbehörde legt ihren Entscheidungen nicht nur sittlich-religiöse und politische Kriterien zugrunde, sondern auch ästhetische. Ob die Kulturwächter sich tatsächlich auf Sure 31, Vers 6 des Koran beziehen, wo Menschen "schmähliche Pein" angedroht wird, wenn diese andere durch "ergötzende Unterhaltung" vom "Weg Gottes abirren lassen", ist insofern sekundär: Eine Band, die so harte, teilweise psychedelische Musik mit vertrackten Rhythmen wie Dash macht, kommt allein aufgrund ihrer ästhetischen Präferenzen gar nicht erst auf die Idee, den Behördengang zu wagen. "Obwohl wir unpolitisch sind und es unser Markenzeichen ist, persische und westliche Elemente zu verbinden, hätten wir keine Chance", sagt Maani.

Dash sind in sechs Jahren vier Mal aufgetreten. Bei Privatkonzerten und in der staatlichen Teheraner Uni. "Das ist über fünf Jahre her", rechnet Milad nach. "Nein, das war doch 1383!", sagt Maani. Wie auch immer: Damals coverten sie noch Stücke von Nirvana, Radiohead und den Red Hot Chili Peppers. Letzten Sommer habe man dann im Rahmen einer Unesco-Veranstaltung mit zehn anderen Bands im Park des Sadabad-Palastes spielen sollen, schaltet sich Siavash ein. "Alles war klar, es gab sogar schon Programmhefte. Aber dann verbot die Musikervereinigung die Konzerte." Mit der Begründung, es sei keine traditionelle persische Musik.

Sowohl die persische Folkloremusik als auch die - ursprünglich höfische - Kunstmusik sind in Iran seit 1979 konsequent als kultureller Gegenentwurf wider die westliche Musik der Schahzeit gepflegt worden. Unter dem reformorientierten Präsidenten Chatami konnten sich dann auch Musikstile jenseits der Tradition ihren Platz im Musikleben zurückerobern. Vieles, was heute geht, war vor zehn Jahren unvorstellbar. "Meine Schwester musste immer eine Genehmigung bei sich tragen, wenn sie mit ihrem Gitarrenkoffer vor die Tür ging", erinnert sich Milad.

Heutzutage gibt es in Teheran nicht nur Musikgeschäfte, in denen man legal seichte persische Pop-Musik und CDs von Phil Collins kaufen kann; man sieht auch E-Gitarren in Schaufenstern und trifft auf ein lebendiges Konzertleben, das sich im Spektrum von Ethno-Jazz bis hin zu religiöser Propagandamusik bewegt. So spielte das Tehran Symphony Orchestra im Juli dieses Jahres Werke von Bizet und Sibelius, um dann im August eine zwölfteilige symphonische Komposition aufzuführen, die - gewiss sehr zur Freude Ahmadinedschads - mit der Wiederkehr des verborgenen Imams endete und die "Philosophie des Mehdismus" propagieren wollte.

Die Heroen von Dash sind granitharte US-Bands wie Tool und Perfect Circle, deren Songs wie Schrägseilbrücken in die Hölle ragen. "Unser Album erzählt von der schrittweisen Verdunklung des emotionalen Zustands eines Typs, der anfangs voller Euphorie glaubt, die Frau seines Lebens gefunden zu haben, und am Ende von Mordgedanken verzehrt wird", fasst Siavash die Philosophie von Dash zusammen.

"Unsere Beziehungen entstehen auf einem ungesunden Fundament, entwickeln sich stereotyp und enden so, dass man das Spiel bald hasst", sagt Milad. Woher das kommt, wissen sie nicht zu sagen. Von der subtilen Hermeneutik des Geschlechterverhältnisses, die zuletzt der Film "Chaharshanbe-Soori" ("Fireworks Wednesday") von Asghar Farhadi bot, sind die jungen Technikfreaks weit entfernt. Steigende Scheidungsquoten geben Milads Befund freilich recht: "Relations are fucked up in Iran."

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