piwik no script img

■ Profitransfer und Quote vor dem Europäischen GerichtshofWehe, wenn ich auf das Ende sehe

Jean-Marc Bosman heißt der Mann. Belgier. Fußballprofi einst beim FC Lüttich. Bestenfalls Mittelmaß. Kein Kandidat fürs „Who is Who“ des Fußballs.

Nun aber könnte ihm doch mehr als eine Fußnote sicher sein. Der Diktion nach ungefähr so: „Bosman, Jean-Marc. Brachte Ende 1995 das europäische Transferrecht zum Einsturz. Danach Persona non grata in allen Stadien.

Schließlich, was Herr Bosman auf dem Feld nicht zuwege brachte, schaffte er auf dem schweren Weg durch Instanzen und Paragraphen. Er klagte sich hinauf bis vor den Europäischen Gerichtshof: gegen die Begrenzung von Ausländerplätzen und en passant auf Abschaffung des Transfersystems. Der ganze Streit entzündete sich 1990 an Bosmans geplantem Wechsel vom FC Lüttich zum französischen Zweitligaverein Dünkirchen. Der scheiterte a) an der Ablösesumme und b) daran, daß die Franzosen bereits drei EG-Ausländer unter Vertrag hielten. So lapidar begann das und könnte nunmehr lawinenartig enden. Der deutsche Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof, Carl-Otto Lenz, kam in einem taschenbuchstarken Gutachten zu dem Ergebnis, daß die gängige Transferpraxis einem groben Foul an der freien Wahl des Arbeitsplatzes entspricht. Und was Lenz sagt, ist so gut wie geurteilt – bislang folgten die Richter meist den wegweisenden Worten der Generalanwälte.

Wir erwarten aber jetzt schon den vereinten, flehentlichen Ruf der Klubs nach Gnade vor Recht. Was erst, wenn ein Spieler von A nach B wechselt und der Arbeitgeber leer ausgeht? Wir sehen im Jahre 1998 den frisch bestallten Bundestrainer Otto Rehhagel lamentieren über das Überangebot ausländischer Fachkräfte in der Bundesliga, die den Teutonen die Stammplätze rauben, weshalb sich sein fußlahmes Ensemble nicht mal qualifizieren konnte für die Weltmeisterschaft. Außerdem: Hat nicht gerade Bayern München mit drei Engländern, zwei Portugiesen, vier Italienern, einem Albaner und einem Griechen den deutschen Meistertitel geholt? Und hat nicht der inzwischen kahlköpfige Präsident Franz Beckenbauer zwei Wochen zuvor den letzten Bayern, den fürs Kalken der Ausstreifen zuständigen Loddar Matthäus, wegen fehlender Linientreue fristlos entlassen müssen? Schließlich entdecken wir Herrn Bosman, der sich trotz des europaweiten Arenaverbots eines Tages ins Olympiastadion geschlichen hat. Verkleidet selbstverständlich, mit Perücke und angeklebtem Vollbart, in den er nuschelt: „Ich hab's doch gar nicht so gemeint.“ Thomas Miebach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen