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Probleme bei der Benotung LernschwacherZensuren demotivieren

In Rheinland-Pfalz sollen Grundschüler individueller gefördert werden. Der Notenzwang stellt vor allem für Schüler mit einer Lernschwäche große Probleme dar.

Demo für die Integration behinderter Schüler in Frankfurt/Main. Bild: dapd

BERLIN taz | Max* braucht länger. In die Schule kam er ein Jahr später als andere, Lesen und Schreiben lernte er langsam. Vielleicht habe er das „Träumerle-Syndrom“, sagte eine Lehrerin. Seine Mutter, Luise Bach*, beginnt, ihn zu Psychologen zu bringen.

Mittlerweile steht fest: Max hat eine visuelle Wahrnehmungsschwäche. Es fällt ihm schwer, das, was er sieht, zu verarbeiten. Für ein Diktat, das er im dritten Schuljahr schrieb, bekam er jüngst nur die Note Vier – obwohl er nur zwei Fehler machte. „Wir haben so viel geübt vorher“, sagt Bach, „Das ist demotivierend.“

Die Grundschule, die Max besucht, steht in einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz. Hier sollen die Lehrer lernschwache Kinder im eigenen Tempo unterrichten, ihnen aber auch in mindestens der Hälfte der Fächer Noten geben. Die Leistungen aller Kinder müssen am Ende ihrer Grundschulzeit vergleichbar sein – auch wenn sich ein Kind wie Max mit hochbegabten Mitschülern messen muss. Ein Riesenproblem sei das, sagt Max’ Schulleiterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Wie alle knapp 1.000 Grundschulen im Bundesland muss sie seit 2008 die neue Grundschulordnung der Landesregierung umsetzen. Sie wurde verabschiedet, um „die individuelle Förderung aller Kinder in den Mittelpunkt“ zu stellen, wie es im Vorwort heißt. Der Landeselternbeirat begrüßte die Reform, auch die Schulleiterin sieht „tolle Ansätze“. Der Haken findet sich bei der Leistungsbeurteilung: Lehrer sollen sowohl „den individuellen Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler“ berücksichtigen als „auch die Lerngruppe, in der die Leistung erbracht wird“.

Bestnote Drei minus

Um diesen Ansprüchen zu genügen, probierte es Max’ Grundschule mit Tests in verschiedenen Schwierigkeitsstufen – nach einem offiziellen Vorschlag aus der Grundschulordnung. Diejenigen Kinder, die sich selbst als zu schwach einschätzten, um reguläre Prüfungen zu bestehen, bekamen ein halbes Diktat oder eine leichte Spalte im Mathetest. Max schaffte sie fast fehlerfrei, sein Ergebnis aber blieb unterdurchschnittlich. Denn die Bestnote, die Schüler mit der leichten Version erreichen konnten, war an dieser Schule eine Drei minus.

Dabei soll gerade Max’ Schule seit einem Jahr als sogenannte Schwerpunktschule gezielt Kinder mit Förderbedarf einbinden – also solche, deren Behinderung mit einem medizinischen Gutachten bescheinigt wurde. 128 Grundschulen sind laut Bildungsministerium in Rheinland-Pfalz seit 2004 zu so einer Inklusionsschule umgewidmet worden.

An Max’ Schule wurden zwei neue Förderlehrerinnen für die Schwerpunktkinder eingestellt, statt Zensuren bekommen diese jetzt Beurteilungen: kleine Texte über ihre ganz eigenen Kompetenzen. Nur Max hat bloß eine punktuelle Lernschwäche. Er bekommt auch in der Inklusionsschule Noten, seit er in der dritten Klasse ist.

Komplettes Notenspektrum

Die gestuften Tests musste die Schulleiterin wieder abschaffen, nachdem sich eine Mutter beim rheinland-pfälzischen Bildungsministerium beschwert hatte: Nach der offiziellen Auslegung des Verbandes für Bildung und Erziehung müssen Schüler mit den Tests immer das volle Notenspektrum erreichen können, etwa durch eine Zusatzaufgabe.

In anderen Grundschulen in Rheinland-Pfalz sind die schlechten Noten für leichte Prüfungen aber noch Praxis, sagt Arno Rädler vom Verein „Eine Schule für Alle“ in Kaiserslautern. Die Initiative engagiert sich für die Inklusion von behinderten Kindern. Rädler war Schulberater, bevor er in den Ruhestand ging. „Die Tests zeigen das Dilemma unserer Grundschulen“, sagt er, „die Politik traut sich nicht, an die Notengebung ranzugehen.“

Wenn es nach Max’ Schulleiterin ginge, würde es an ihrer Grundschule nur noch ausformulierte Beurteilungen geben. Sie sagt: „Ein emotionaler Satz, den wir dem Kind mit auf den Weg geben, hat wesentlich mehr Wirkung als eine Note.“ Inklusion und Notengebung schlössen einander aus, findet sie.

Entspannte Ministerin

Landesbildungsministerin Doris Ahnen (SPD) sieht das entspannter. „Der durch die Grundschulordnung ermöglichte Mix von Verbalbeurteilungen und Noten kommt insgesamt vor allem bei Eltern, aber auch in den Schulen gut an“, lässt sie von einem Sprecher ausrichten.

Der Notenzwang zum Wechsel an weiterführende Schulen sei ein grundsätzliches Problem, sagt dagegen Ulf Preuss-Lausitz. Der Erziehungswissenschaftler gehört dem Expertenrat „Inklusive Bildung“ der Deutschen Unesco-Kommission an. In der Schule gehe es schließlich darum, Kompetenzen zu erwerben, nicht Noten: „Wir brauchen dringend eine Neuregelung der Bewertungsverfahren“, sagt er. In keinem Bundesland sei das bisher befriedigend umgesetzt.

Mutter Luise Bach hat wegen Max’ Zensuren schon das Gespräch mit Lehrern gesucht. Wenn schwache Kinder besser bewertet werden, gingen die Eltern der guten auf die Barrikaden, sagen die. So bleibt ihr, mit ihrem Sohn am Nachmittag und am Abend zu üben. Sie wünscht sich nur, dass Max’ Leistung honoriert wird – auch wenn die anderen Kinder schneller lernen.

* Name geändert

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6 Kommentare

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  • U
    ulschmitz

    komisch - kaum schreibt man für die liebe JUHUgend längere texte mit hinweisen auf leistungen und probleme, gibt perspektiven, bietet hilfen an, macht vorschläge - ZACK! stehen 3-5 vor allem von den "Kurzen" am "Pult" und fragen empört: "Und was isdasjetzt für ne Noooote?" Variante: "Wann besprechen wir eigentlich ENDLICH die mündlichen Noooootänn?" - Die "Noten" werden erst dann verschwinden, wenn Eltern sowie SchülerInnen und Schüler es wünschen und durchsetzen. Ansonsten gilt nach wie vor: Ne "Zwei" liegt am familiären Erbgut, an Hochbegabung, gepaart mit Bienenfleiß - ne "Fünf" liegt am faschistischen, rassistischen, autoritären Steißtrommler - WENN es eine "Fünf" gibt. Die "Noten" wird es außerdem solange geben, wie es Rechtsanwälte gibt, die zu gerne gegen "Nichtversetzung" klagen - aus diesem Grunde gibt es die "Nichtversetzung" ja auch nicht mehr zwischen der 7. und 9. bzw. 10. Klasse, da muss eine/-r schon so richtig abluuuuhsen, um überhaupt in die Nähe einer evtl. auszusprechenden "Querversetzung" zu geraten - und selbst dann kann "mit Vorbehalt" und "auf Probe" versetzt werden.

    Vorschlag zur Güte nach 32 Jahren am Gymnasium: Die Schulpflicht wird abgeschafft; alle bekommen spätestens nach der 4. Klasse ihren Wunsch-schulabschluss; alles Weitere regeln Universitäten, Fachhochschulen und Ausbildungsbetriebe. Wer mit 14 eine Uni bezieht und dort Erfolg hat - die Geschichte gibt da eine Reihe leuchtender Beispiele her - ja warum denn nicht?

     

    Davon ab:

    Es wär schon nett, wenn ENDLICH auf die billige Uralt-Lavendel-Anmache von wegen "Fascho" verzichtet werden könnte, da sollte man selbst lieber aufpassen, dass es nicht wie früher auf dem Spielplatz zurückschallt: "Wer es sacht, der isses sälllbaaa!"

  • WB
    Wolfgang Banse

    Inklusion ist ohne wenn und aber um zu setzen

    Inklusion ist ein Menschenrecht,welches Anwendung zu finden hat ohne wenn und aber.Was auch für die ratifizierte Un-Behindertenrechtskovention zu trifft.

  • I
    Ich

    Schule darf kein Sieb sein, das Kinder nach Leistung sortiert! Idealerweise lernen Kinder mit Hilfe einer guten Schule und ihrer Eltern, die eigene Leistungsfähigkeit real einzuschätzen und sich selbst die Leistung abzufordern, die auf Grund ihrer Voraussetzugen möglich sind. (Daß so etwas möglich ist habe ich bei Kind Nr. 1 erlebt.)

     

    Mit Zensuren wird nicht nur "schwächeren" Schülern die Lust am Lernen ausgetrieben (erlebe ich gerade bei meinem Kind Nr.2) sondern auch Leistungsstarken das Ausschöpfen ihres Potentials abgewöhnt. (Habe ich selbst erleiden müssen). Besser als 1 geht nun mal nicht.

     

    Objektive Vergleichbarkeit gibt es vielleicht beim Spritverbrauch oder der Motorleistung von Autos aber doch nicht bei Menschen!

  • C
    Ceres

    Das mit den Noten kann man sehen wie man möchte, sowohl die schriftliche als auch die Zahlenvariante haben beide ihre Berechtigung.

    Schule ist nunmal immer eine Leistungsbeurteilung, ob nun ausformuliert oder nicht spielt keinen Unterschied. Manche mögen zwar Worte tröstlicher finden aber im Endeffekt muss auch dort klar gesagt werden, ob die Leistung erreicht wurde oder eben nicht.

     

    Generell geht es hier aber um ein anderes Problem, die nicht überdachte Inklusion von Kindern mit Förderbedarf. Es gibt zwar Kinder, die ohne Probleme an Regelschulen teilnehmen können (eben weil ihre Behinderung nicht die Schwere hat, die eine besondere Unterbringung rechtfertigt) allerdings trifft das nicht wirklich auf alle zu.

    Bei der ganzen verblendeten Sichtweise auf die angeblichen positiven Wechselwirkungen wird immer gerne Vergessen, dass sich die Behinderung damit nicht in Rauch auflöst.

    Vielmehr ist es in der Regel so, dass absolute Einzelfälle, die unter idealen fachlichen und finanziellen Bedingungen zustande kommen, die Allgemeinheit begründen sollen.

    Das es weder die fachliche Ausbildung noch die personelle Ausstattung an den Schulen im Moment auch nur ansatzweise einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Kindern ermöglicht wird gekonnt ignoriert.

    Wie steht es denn mit der Schule in dem Artikel?

    Es wurden zwar 2 zusätzliche Lehrkräfte eiungestellt aber sind sie auch immer an der Schule? Sind sie auch in jeder Stunde anwesend? Wird den Schülern mit dem entsprechenden Bedarf auch eine Förderung angeboten?

     

    Auch die Sache mit der Benotung wird immer gerne verschwiegen, dabei ist das mitnichten ein Problem der Gegenwart. Schon immer war es teilweise ein Problem, wenn es in der Klasse ein, zwei Überflieger gab, an denen der Lehrer dann die restlichen Leistungen vergleichen MUSS. Denn das ist so vorgegeben und darauf haben die "guten" Schüler in der Klasse auch einen Anspruch. Bisher hatte man ja allerdings als Lehrer selber noch einen gewissen Spielraum, solange man im Rahmen blieb konnte man auch bei schwächeren Schülern den Lernzuwachs honorieren.

    Bei den hier besprochenen Extremfällen ist das nicht mehr möglich. Nicht nur die Eltern würden auf die Barrikaden gehen, auch Schüler wären nicht sehr begeistert, wenn einer ihrer Mitschüler in diesem Maße bevorzugt wird.

  • EL
    Einfache Lösung

    Noten sind so was von Fascho. Einfache Lösung: Wenn die Waage sagt, dass A weniger Masse hat als B, einfach die Waagen abschaffen - dann klappt's auch besser mit dem internationalen Wettbewerb - zumindest wenn die Chinesen bei dem Projekt auch mitmachen :D

  • E
    e.a.

    Kleinen Kindern in der Grundschule mit Noten schon in den Wahnsinn zu treiben, zeigt, wie wenig Ahnung einfach die meisten Eltern und Bildungsminister der Länder von kindlichen Lernprozessen haben.

    Die Eltern wollen die Zukunft ihrer Kinder sichern? Dann sollten Noten komplett abgeschafft werden in der Grundschule und den Kindern ihr Kindsein ausleben lassen.