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Pro & Contra OrdnungBlockwart-Alarm!

Berlin ist laut und dreckig, und das ist auch gut so. Ist das wirklich gut so? In der taz-Redaktion gehen die Meinungen auseinander. Ein Pro & Contra zum Thema Ordnung.

Voll spießig oder nur rücksichtsvoll? Entscheiden Sie. Bild: by-sa/2.0

Es liegt was in der Luft: der Mief von Hundekacke. Deshalb will die Initiative "Berlin häufchenfrei" per Volksbegehren 5.000 Kotbeutel-Spender und 60 Kontrolleure erzwingen. Gut so? Oder ist das eine Art erweiterter Waschzwang? Und was soll man von der App "Straßensheriff" halten, mit der Radfahrer Falschparker verpetzen können? Ist das nicht Denunziantentum?

Linke sind traditionell allergisch gegen Sekundärtugenden. In diesen Tagen kleben manche von ihnen ein Plakat, mit dem sie Ordnungsamt und Co. ein herzliches "Fuck off!" entgegenscheudern. Aber nicht nur in der taz-Redaktion gehen die Meinungen zum Thema auseinander. Im Folgenden erklärt taz-Redakteur Sebastian Heiser, warum eine gesunde Verwahrlosung dazugehört. Dagegen empfiehlt sein Kollege Claudius Prößer Therapien für Ordnungsphobiker.

Verpisst euch, ihr Spießer!

Mein Sofa habe ich auf der Straße gefunden. Jemand aus der Nachbarschaft hatte es freundlicherweise dort abgestellt, und da stand es nun mit seinem hellen Kunstleder und blinzelte mich an. Seitdem steht es bei mir; ich erfreue mich jeden Tag daran.

Zum Glück ist so etwas in Berlin noch möglich. Zum Glück habt ihr die absolute Herrschaft über alle Stadtteile noch nicht übernommen, Ihr Spießer. Euer feuchter Traum ist, Berlin in eine Großversion von Dingolfing zu verwandeln oder von Bad Ischl, wo die Straßen geleckt sind, wo die Autos alle stramm in Reih und Glied parken und wo der Dorfpfarrer einen Herzkasper bekommen würde, wenn er eines Tages ein Graffito an seiner schönen Kirche entdecken müsste.

Ihr wollt es zwar überall schön sauber haben, aber ihr wollt euch nicht selber die Hände schmutzig machen, ihr Pharisäer. Eure Waffen für den Straßenkampf sind daher deutsche Paragrafen, Euer Vollstrecker ist das Ordnungsamt. Die sollen dann eure privaten Vorstellungen von Reinlichkeit auf dem Bürgersteig durchsetzen, bis es dort so aussieht wie in Bietigheim-Bissingen nach der Kehrwoche.

Warum reicht es euch Spießern eigentlich nicht, wenn es schon im gesamten Rest Deutschlands so aussieht wie in Freilassing, Eckernförde und Kaufbeuren? Warum darf es nicht auch einen Flecken Erde geben, wo es laut und schmutzig ist, wo man seine Möbel auf der Straße finden kann und wo die Mieten günstig sind? Das alles hängt nämlich untrennbar miteinander zusammen. Die Verwahrlosung eines Kiezes ist der beste Schutz vor Gentrifizierung und Verdrängung.

In einigen Gebieten Berlins ist das sogar schon offizielle Politik. Weil ihr Spießer euch gerne wie im Forsthaus fühlen und eure Füße an einem knisternden Feuer wärmen wollt, dürft ihr hier keine Kamine in eure Wohnungen einbauen. Ihr dürft außerdem keinen zweiten Balkon anbauen, kein zweites Bad einrichten und keine kleinen Wohnungen zu großen Wohnungen zusammenlegen. Das Ziel ist, euch euren Spießerlebensstil zu vermiesen. Dazu wird sogar ein Eingriff in euer Vermögen in Kauf genommen, denn eine luxussanierte Wohnung könntet ihr natürlich viel teurer weiterverkaufen.

Da es sich hier um offizielle Politik handelt, wird sie mit den Mitteln des Bauordnungsamts durchgesetzt. Aber das gleiche Ziel lässt sich ähnlich erfolgreich auch durch Graffiti an Spießerwohnungen und Kratzer im Lack von Spießerlimousinen erreichen. Die Lagerung von Sperrmüll auf der Straße ist da noch der mildere Ansatz, also jammert nicht so rum. Das Gleiche gilt für Hundekothaufen: Die stinken zwar, aber sie wirken.

Und jetzt sagt nicht, dass die Stadt dadurch generell unattraktiv wird. Sie wird vielleicht für euch unattraktiv. Aber jedes Jahr wollen mehr Menschen nach Berlin kommen. Elf Millionen Touristen waren es im vergangenen Jahr. Die Straßen sind voll von jungen Menschen aus der ganzen Welt, die inzwischen sogar lieber nach Berlin als nach London oder New York kommen. So scheiße kann Berlin also wohl nicht sein, oder?

Glaubt ihr, diese Menschen kommen noch, wenn Berlin so herausgeputzt ist wie Tuttlingen oder Hohenlockstedt? Solche Reiseziele gibt es doch schon genug. Hört auf, einen der wenigen funktionierenden Wirtschaftszweige der Stadt zu schädigen. Erst hat der Sozialismus durch Teilung und Mauerbau dieser Stadt die Industrie genommen, und jetzt wollt ihr auch noch an den Tourismus ran.

Erinnert ihr euch eigentlich noch an das, was ihr selbst damals an dieser Stadt attraktiv gefunden habt, als ihr aus Treuenbrietzen und Brakel hierhergekommen seid? Wisst ihr noch, warum ihr damals nicht lieber in eine Stadt gezogen seid, in der abends ab Punkt neun Uhr kein Kneipenlärm mehr auf der Straße zu hören ist und zu deren Infrastruktur ein flächendeckendes Netz von jederzeit gefüllten Hundekotbeutelspendern gehört?

Berlin wird in den nächsten fünfzehn Jahren um rund eine Viertelmillion Menschen wachsen. Wir können hier also jede frei werdende Wohnung gebrauchen. Die Mauer ist weg, ihr Spießer, also bitte verpisst euch und macht rüber nach Quedlinburg oder Bad Orb, wo ihr hingehört. SEBASTIAN HEISER

Von wegen Spießer!

Alle zwei Jahre ist Spießeralarm in Nordneukölln: Dann schwärmen die Kinder der Peter-Petersen-Grundschule tagelang mit Spraydosen aus. Nicht um Wände bunt zu machen, sondern um stinkende Tretminen zu markieren. „Attacke gegen Hundekacke“ heißt die Aktion, die den Nachbarn bewusst machen soll, wie beschissen die Gehwege hier aussehen. Unterstützt werden die kleinen Spießer durch große Spießer von den Stadtteilmüttern und anderen Kiezgruppen. Am Ende gibt’s ein Spießertreffen im Park, wo Spießerlieder abgesungen werden.

Für Menschen, die Plakate à la „Wir sind die Stadt“ kleben, muss das ein Gräuel sein. Jede Initiative, die ein bisschen Sauberkeit anstrebt, hat für sie den Ruch des Faschistischen, aus jedem noch so dezenten Hinweis auf Regeln des Zusammenlebens schnarrt ihnen der Blockwart entgegen. Im besten Falle schleudern sie den Aufräumern und Bescheidsagern ein „Das ist aber urban“ entgegen.

Sind Dreck und Rücksichtslosigkeit wirklich per se großstädtisch? Sehen wir mal genauer hin.

Beispiel Nummer eins: Niemand würde wohl ernsthaft behaupten, dass Kinder in der Stadt nichts zu suchen haben. Das wäre eine sehr rückwärtsgewandte Einstellung. Aber wer in Berlin Kinder hat, weiß, dass in manchen innerstädtischen Parks die Grashalme in der Minderheit sind gegenüber Kippen, Scherben und sonstigem Party-Fallout. Ungute Begegnungen damit vermeiden besorgte Eltern, indem sie Fernreisen zum Britzer Garten unternehmen oder den Nachwuchs vom Gerade-noch-Grün fernhalten. Um die soziale Dimension zu verdeutlichen: Es sind nicht die Wohlhabenden, die davon betroffen sind. Es ist kein Luxusproblem.

Beispiel Nummer zwei: Das Fahrrad ist die Zukunft des innerstädtischen Verkehrs, wer wollte da widersprechen. Und doch können die meisten ein Lied davon singen, wie die Rücksichtslosigkeit vieler Autofahrer ihnen das Fahren verleidet. Es wird geschnitten, gehupt, bedrängt. Und dann steht das Blech gerne mal da, wo man selbst eigentlich rollen soll. Klar, wer die Jugend und das Testosteron auf seiner Seite hat, schert elegant aus und weist dem Motorisierten mit dem Mittelfinger den Weg. Viele andere werden einfach ausgebremst. Manche lassen das Rad lieber einmal öfter stehen. Verkehrsdarwinismus halt.

Man könnte noch eine Weile so weitermachen. Und immer geht es nicht um Ordnungs- oder Regelwahn, sondern um: Rücksichtnahme.

Eine Spießertugend? Von wegen. Was, wenn nicht Rücksichtnahme, könnte als Kardinaltugend der Urbanität gelten? Eine Stadt, in der es Spaß macht, zu leben, ist doch die, in der sich möglichst viele Menschen möglichst frei entfalten können, ohne dass das auf Kosten der anderen – vor allem: der Schwächeren – geht. So betrachtet, ist es vollkommen legitim, wenn sich diejenigen zur Wehr setzen, die immer mit einem Fuß in der Scheiße stehen.

Dass Vermüllung und Egalsein die Stadt erst urban machen, ist jedenfalls ein gottverdammter Mythos. Das erschließt sich durch ein einfaches Gedankenexperiment: Nehmen wir an, Sie wären dieser Ansicht. Wenn nun vor Ihrem Haus täglich ein Kackhaufen läge und nicht bloß jeden zweiten – wäre Ihr Urbanitätsgefühl dann doppelt so stark? Nein? Und wenn umgekehrt die Kacke plötzlich ausbliebe, würden Sie sich dann plötzlich fremd fühlen in Ihrem Kiez?

Sicher, die Herausforderung besteht darin, die Balance zu halten. Die Grenze zu erspüren, wo Sauberkeit in Sterilität umschlägt und Anteilnahme in Übergriffigkeit. Man muss eben nicht jedes Graffito verteufeln – aber wenn es den Blick aus der S-Bahn unmöglich macht, ist es nicht schick, sondern einfach bloß arschig.

Kann man nicht schlicht anerkennen, dass das Ordnungsniveau in einer Stadt immer wieder neu ausgehandelt werden muss? Und dass ein Laisser-passer die Lebensqualität nicht zwangsläufig erhöht? Das wäre doch schon ein Fortschritt.

Wenn nun aber jemand unter Ordnung leidet, weil er ob seiner kleinstädtischen Herkunft ein Trauma mit sich herumträgt – nun, dafür gibt es professionelle Hilfe, auch anonyme. Gerade in einer Großstadt wie Berlin. CLAUDIUS PRÖSSER

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20 Kommentare

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  • G
    Gast

    Wer im Sperrmüll lebt,denkt Sperrmüll.

  • Man kann die Dinge sicher zu Tode ordnen. Ist dann so langweilig wie Friedrichstraße.

    Wären allerdings Hundekacke und Glasscherben revolutionär, hätten wir längst eine bessere Welt.

    Übrigens kommen viele Touris wegen des angesifften Revoluzzerflairs, den sie in anderen Metropolen vermissen.

  • A
    Anti-Ordnungsfanatiker

    Allen, die sich ein sauberes, ordentliches Berlin wünschen, empfehle ich einen Wochendendtrip in die Münchner Innenstadt. Nein danke!

     

    - sagt ein Zweite-Reihe-Parker-Verflucher, bei dessen Mietshaus die Eingangstür regelmäßig von Junkies auf der Suche nach einer Toilette eingetreten wird (nicht dass hier irgendwelche Vorwürfe à la "du weißt ja gar nicht, wie schlimm das alles ist!" kommen).

    • G
      Gast
      @Anti-Ordnungsfanatiker:

      Genau So!

      Ich steh auch nicht so auf den ganzen Dreck.

      Manche Dealer machen mir Angst und ich hasse U-Bahn Abteile die man dank des Geruchs nicht betreten kann.

       

      Aber ich liebe die Freiheiten und Möglichkeiten dieser Stadt und dafür ist all das ein sehr kleiner Preis.

  • G
    gast

    komisch, lieber herr sebastian heiser, den gleichen text hätte auch ein goldman sachs mitarbeiter schreiben können - und dann hätte unser kleiner alternativer zugereister kiezkönig aber die schnappatmung des deggendorfer pfarrers übertroffen.

     

    könnte mit der gleichen kleingeistigen arroganz des sich überlegen findenden fiktiv ungefähr so gehen: "letzte woche habe ich einen super deal gemacht und 5 millionen verdient. zum glück ist sowas in new york noch möglich. zum glück haben die grünlinken spiesser mit den beamtenbezügen und pöstchen im evangelischen kirchenvorstand die herrschaft noch nicht übernommen. euer feuchter traum ist es, die ganze welt in eine grünlinke spiesseridylle auf staastkosten zu verwandeln und nach dem ausschlafen bis 12.00 uhr im shisha caffee um die ecke über die theorie der weltrevolution klugzuscheissen. ihr wollt anstrengungsfreie kohle und nennt das dann sozial, ihr pharisäer. unser ziel ist es, euren linksgrünen spiesserlebensstil zu vermiesen. wir sind systemrelevant und ihr nicht. erinnert ihr euch, was ihr kreuzberger versager für große lebenspläne hattet? als ihr gemerkt habt, dass ihr für eure ambitionen entweder zu dämlich oder zu faul seid, habt ihr euch mit verve in die position des weltverbesserers geworfen und platzt jetzt vor neid in eurem spiesserkiez, weil wir die masters of the universe sind" usw.

     

    wie man sieht lieber sebastian: großkotzige arroganz ist immer dämlich...

     

    einfach mal so zum nachdenken...

  • Alsö... ich lebe in Berlin und habe einen Hund. Und die, mit Verlaub, asozialen Arschlöcher, die ihre Vierbeiner überall hinscheißen lassen und die Haufen insbesondere auf Gehwegen einfach liegen lassen, die würde ich gern, äh, das schreibe ich besser nicht.

     

    Nicht ohne Grund hat Berlin den Beinamen Dogshit City. Und der gilt nicht nur für "Problemkieze", im feinen Villenviertel Grunewald ist es auch nicht besser!

  • MK
    Mr. Kleen

    Diejenigen, die für eine Stadt voller Falschparker und voll Hundescheiße sind, sind doch alle Berufsjugendliche ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein.Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es bei denen zuhause in der Küche oder auf dem Klo aussieht. Meine Kloschüssel lebt, denn sie klebt. Spätestens aber mit dem ersten Kind wird sich hoffentlich einiges ändern. Dann werden die in zweiter Reihe auf der O-Straße geparkten Autos nerven und die Herrchen und Frauchen, die ihre Hundchen auf das Trottoir scheißen lassen, angemacht werden. Wie schön sauber ist es z.B. in Soho in New York. Was soll das denn, diese Freude über den ganzen Dreck? Mal ehrlich, ist doch voll albern. Das einzigste was erlaubt sein sollte, sind auf die Straße geschnickte Kippen. Ansonsten Falschparker- und Hundekacke-Apps JA!

  • M
    Max

    Ich danke für den ersten Kommentar. Es ist nämlich das entspannte Miteinander, dass das schöne Wort Kiez ausmacht, (das leider mittlerweile zur Drohung für die Anwohner geworden ist). Und entspanntes Miteinander ist das Gegenteil von Vorschriften und Sheriffs. Ich persönlich halte die Stadt für den falschen Ort für Hunde und kann es nicht ausstehen, wenn Kackhaufen mitten auf dem Bürgersteig liegen. Aber wenn ich Sheriffs in Uniform auf Patrouille sehen würde, wäre das weit schlimmer.

    Im Übrigen ächzen die Bezirksämter unter Personalmangel und sperren sich deswegen bereits gegen die Umsetzung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes, eines Mieterschutzgesetzes. Und spätestens bei dieser Gegenüberstellung ist die Sache für mich ganz klar. Wenn schon mehr Geld für städtisches Personal, dann für solches, welches Mieterschutz fördert, nicht aber Aufwertungsinteressen und saubere Kieze.

  • J
    jan

    Das Schema 2 Meinungen unabhängig voneinander zu schreiben kann Denkanstöße zu einer Diskussion liefern, aber es geht auch viel verloren, weil kein Eingehen auf die Argumente der Gegenseite möglich ist. Das ist schade.

     

    In diesem Sinne wäre es interessant zu wissen, was Sebastian Heiser (vielleicht ohne ad hominem Attacken und weniger "Aggro" ?) zum Thema Spritzen und Scherben in Parks und Spielplätzen sagt. Die von ihm angesprochenen Sperrmöbel, Kratzer und Hundehaufen sind in der Tat nur Verwahrlosung light.

     

    Nebenbei: Zum Thema empfehle ich den lustigen Action-Film "Demolition Man", in dem ebenfalls über Spießigkeit vs Verwahrlosung diskutiert wird.

  • W
    who_cares

    Das Thema wirkte schon etwa, wie die fancy Geschichten, die mir beim Ausloggen meiner Mailseite als "News" angezeigt werden, aber okay, immerhin die taz.

  • G
    Gast

    Als ich studiert habe hat der Dreck mich wenig gestört. Als ich mit meiner Tochter beim Arzt saß - sie hatte in eine Spritze gegriffen- habe ich Ängste erlebt. Zunehmend wurde ich empfindlicher gegen den Geruch der Pissecken. Meine 80 jährige Nachbarin hatte Angst auf die Straße zu gehen ,sie ist 2 mal hingefallen weil sie Angst vor freilaufenden , Hunden hatte . Im Winter blieb sie sowieso zuhause -keiner schippte Schnee. Ich arbeitete Wenn ich meinen Nachbarn um 23:30 bitte die Musik leiser zu stellen, sagte der, ich solle doch woanders hinziehen, hier sei das normal. Leere Bierdosen schmissen er und seine Freunde auf die Straße. Alte u. Kinder können sich schwer gegen die "Hippe Szene" wehren. Und ich habe mich geschämt früher auch manchmal rücksichtslos Musik aufgedreht zu haben, bis ich eine Freundin während einer Chemotherapie erlebte, die da lag nachts und es hat sie fertig gemacht. Heute lebe ich ruhiger und keiner kotzt mehr in den Hauseingang.

    Viele Szeneleute sind jünger - aber die Stadt gehört allen - auch den Alten, Kindern, Kranken.Bin ich nun ein Spießer geworden oder ist es normal, dass man sich im Leben andert?

    Aber eines erinnere ich mich noch:Auch früher wäre mir nicht eingefallen meine Bierdose hochherrschaftlich auf die Straße zu werfen, nach dem Motto: Irgendein Müllmann macht das schon weg. Ich fand das immer schon abwertend anderen gegenüber. Vielleicht war ich da schon Spießer? Heute danke ich meinem Nachbarn, dass er mir Schnee schippte als mein Bein gebrochen war und bin froh, dass er meine Haustüre nicht vollsprayt. Ich mag ihn. er ist kein Szenetyp. Er ist Spießer - hat und sogar einen Gartenzwerg und sammelt Lokomotiven aber er ist rücksichts- und liebevoller als viele Szeneleute.

  • das zauberwort ist m.e. balance.

    es muß nicht überall wie in schwäbiscen kleinstädten aussehen,aber es muß auch nicht überall auf geh-und radwegen hundekacke und glasbruch liegen,egal ob in berlin oder hier in rostock.

    gekonnte graffiti an häßlichen

    sichtbetonwänden kann schön sein,an frisch sanierten historischen gebäuden zeugen sie von dummheit.

  • M
    Moabit_muss_dreckig_bleiben

    Es sieht eben jeder das was er sehen will. Es gibt die Testosteron-Bomber nicht nur im Auto, sondern auch auf dem Gehweg mit Überlegenheitsgefühl und rasend, manchmal sogar beim Treten auf den Pedalen stehend um klar zu machen wer auf'm Trottoir der Boss ist. Aber der Spießer darf das ja, noch dazu wenn er sich fortpflanzt und über Hundescheiße schimpft, da kann man mal schon sonen doofen Gehbehinderten auf die Seite scheuchen.

    • SS
      soziale säuberungen
      @Moabit_muss_dreckig_bleiben:

      Leben Sie wirklich in Moabit? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Dann wüssten Sie, dass viele der "Testosteron-Bomber" Moabiter Jungmänner sind, die es gern mal krachen lassen. Und wo bitte ist es dreckig? Doch nur in den paar Industriestrassen und selbst da gibt es bereits Ferienwohnungen.

      Der (angebebliche) Dreck wird überhaupt nichts verhindern, wer das glaubt, trägt immernoch die die traumatische Erinnerung an sein Herkunftskaff in sich, genau wie jene, die in den sozialschwachen Vierteln glauben unbedingt leben zu müssen.

  • UV
    Unfassbare Verharmlosung

    @taz redaktion

    @ wirklich? blockwart?

     

    Da die taz den "Blockwart" Vergleich offenbar auch umgangssprachlich O.K. findet und sich der Verharmlosung des NS "Blockwart"-Systems anschließt hier ein kurzes Zitat von Detlef Schmiechen-Ackermann aus seinem sehr lesenswerten Artikel dazu: "Selbst in den mittlerweile zahlreichen Publikationen, die sich explizit dem Verhältnis von Alltag und Herrschaft unter der NS Diktatur widmen, ist eine systematische Behandlung dieses Phänomens [blockwart] bislang unterblieben, obwohl es doch gerade hier besonders nahe liegen würde, durch eine sinnvolle Verknüpfung von Alltags- und Strukturgeschichte die Wirksamkeit dieses das tägliche Leben unter der Hitlerdiktatur ganz wesentlich bestimmenden Instrumentes des NS-Verfolgungsapparates in den Blick zu nehmen. [...] So ist zu konstantieren, dass in der langen Periode der strukturgeschichtlich dominierten NS-Forschung die alltäglichen und daher nicht spektakulären Instrumente der Unterdrückung zu sehr vernachlässigt wurden." (2000: 576) Quelle: "Der 'Blockwart' Die unteren Parteifunktionäre im nazionalsozialistischen Terror- und Unterdrückungsapparat". In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48, 2000, Heft 4, S. 575–602 (online; PDF; 8,5 MB).

    Herrscht auch in der taz Redaktion Unwissenheit über dieses "Blockwart"-System oder fühlt ihr euch tatsächlich durch Initiativen gegen Hundekot ähnlich terrorisiert und unterdrückt, wie damalige Verfolgte des NS-"Blockwart" Systems ???

  • G
    gast

    scheint, als ob wedding das neue hipster-viertel werden wird...(oder schon ist?)

  • JN
    Jenz Nüchtern

    Verwahrlosung ist Verwahrlosung ist weit mehr als Kacke. Eine gesunde Verwahrlosung gibt es nicht.

     

    Beispiele wären

    Glasscherben und gebrauchte Spritzen im Sandkasten auf dem Spielplatz

    Eingetretene Hauseingänge

    Ein Casino neben dem anderen mit einer mehrheitlich süchtigen AnwohnerInnenschaft

    Jugendliche mit Langeweile auf der Straße, da Jugendclubs und Ähnliches fehlen

    Ratten und andere Krankheitsüberträger

     

    Sie meinen wohl heruntergekommene Straßenzüge und Kieze wie in Berlin an der Karl-Marx-Straße in Neukölln oder an der Badstraße in Mitte.

  • WB
    wirklich? blockwart?

    Eure Überschrift ist leider eine krasse Verharmlosung des nationalsozialistischen Blockwartsystems! Ich hab in Kreuzberg bis Mitte der 80er Jahre in einem Haus mit (ehemaligem) Blockwart gelebt. Der Vergleich erscheint mir mehr als unpassend.

  • A
    Ananas

    Liebe taz! Tolles Thema! Die meisten stehenden Eckenpisser, Bierbikebucher und besoffenen Touriguppen sowie der Großteil der Graffitiszene sind männlich. Wie wär´s mit einer Debatte "Gender in the city"?