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PressschlagDer Tritt des Heiligen

Paolo Guerrero wird wegen des bösen Fouls an Stuttgarts Keeper Ulreich als Brutalo in die Liga-Geschichte eingehen. Eine Frage bleibt: Hat er das verdient?

AUAAAAA. Bild: dpa

D as Urteil gegen Paolo Guerrero, der am vergangenen Wochenende den Stuttgarter Torhüter Sven Ulreich so brutal gefoult und dafür vom Platz gestellt worden war, wurde in der Wochenmitte gefällt. Sieben Wochen Sperre.

Der DFB teilte mit: „Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat den Spieler Paolo Guerrero vom Bundesligisten Hamburger SV im Einzelrichterverfahren nach Anklageerhebung durch den DFB-Kontrollausschuss wegen einer Tätlichkeit gegen den Gegner mit einer Sperre von sieben Wochen bis einschließlich 22. April 2012 belegt.“

Das Urteil ist rechtskräftig. Spieler und Klub haben es akzeptiert. Schade eigentlich. Denn so wird es nie eine Verhandlung zu dem Fall geben. Gerne hätte man mehr erfahren darüber, warum die Blutgrätsche als Tätlichkeit gewertet wird, warum dies in anderen Fällen nicht der Fall war. Auch hätte man sich intensiver mit der Person Guerrero beschäftigen müssen, der als wahres Fußballscheusal durch die Presselandschaft getrieben wurde, was den Einzelrichter in seiner Urteilsfindung durchaus beeinflusst haben könnte.

Als widerliche Brutalotype musste sich Guerrero schon einmal landauf, landab beschimpfen lassen. Die Flaschenwurfaffäre hängt dem Stürmer immer noch nach. Im Frühling des Jahres 2010 hatte Guerrero einem Zuschauer, der ihn nach der Partie des HSV gegen Hannover 96 beschimpft hatte, eine Plastikflasche an den Kopf geschmissen. Dafür wurde er hart bestraft.

taz
ANDREAS RÜTTENAUER

ist Redakteur im Sportressort der taz.

Flasche an den Kopf

Fünf Spiele Sperre, 20.000 Euro Geldstrafe an den DFB und um die 100.000 Euro Geldstrafe von seinem Klub. Guerrero hatte sich provozieren lassen. Der Fan, dem er die Flasche an den Kopf schleuderte, soll den Peruaner als „schwule Sau“ beschimpft und ihm geraten haben, doch in seine Heimat zurückzukehren. Das wurde kaum skandalisiert - der eigentliche Skandal an der Affäre Flaschenwurf.

Vergleiche mit Éric Cantona hat damals kaum einer gezogen. Der gilt ganz im Gegensatz zu Guerrero beinahe schon als Fußballheiliger, obwohl sein Kung-Fu-Tritt gegen einen Zuschauer sicher ebenso unsportlich war wie Guerreros Grätsche gegen Ulreich am Wochenende.

Cantona hat am 25. Januar 1995 im Spiel von Manchester United gegen Crystal Palace mit seinem Tritt eine Diskussion über Rassismus in den Stadien ausgelöst. Auch er hatte sich provozieren lassen. Er wollte sich die rassistischen Pöbeleien des Fans nicht länger anhören. Dafür wird er bis heute zu Recht gefeiert. Für den Tritt wurde er zu Recht ein halbes Jahr gesperrt.

Ein neuer Cantona täte gut

Dem Ausraster folgten in England Debatten über die Zumutungen, denen sich viele Profis in den Stadien ausgesetzt sehen. Die englische Liga begann sich mit dem Rassismusproblem zu beschäftigen. Eine lange Reihe zunächst erfolgreicher Programme wurde gestartet, deren Ziel es sein sollte, das Stadion für die Profis zu einem angstfreien Raum zu machen.

Wie schwer es ist, den Rassismus dauerhaft aus den Stadien zu bannen, zeigen die Fanbekundungen, mit denen der uruguayische Pöbler Luis Suárez bisweilen gefeiert wird, seitdem er Patrice Evra in einem Premier-League-Spiel rassistisch beleidigt hat. Ein neuer Cantona täte hier sicher gut.

Eine Diskussion über Rassismus und Homophobie in den Stadien hätte auch auf den Flaschenwurf Guerreros folgen können. Hierzulande gelten Fußballer aber als charakterlich besonders feine Kerle nur dann, wenn sie die Klappe halten. Und so hat niemand Guerrero dazu aufgefordert, öffentlich über die Beleidigungen zu sprechen, die er sich an diesem Tag hat anhören müssen, die er sich wahrscheinlich des Öfteren anhören muss.

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Andreas Rüttenauer
Sport, dies und das

10 Kommentare

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  • U
    Urgestein

    Garrua, bitte mal bei den Tatsachen bleiben und nicht welche erfinden. Ein bundesligataugliches Spielfeld hat ein Länge von etwa 100 m, da müßte PG bei einem "60-Meter-Sprint" weit in der eigenen Hälfte gestartet sein. Tatsächlich waren es höchstens 30 Meter, die er einem abgeprallten Ball hinterherlief, um den noch vor der Ecke zu erreichen. Womit ich gleich den zweiten Fehler benannt habe. Der Stürmer rannte nicht auf den Torwart Ullreich zu sondern dem Ball hinterher, ein Fakt, der vom Sportgericht ebenfalls schlicht ignoriert wurde um zu dem hohen Strafmaß zu kommen.

     

    Warum aber biegt sich der DFB seine Wahrheit so brutal zurecht? Wahrscheinlich, weil man sonst auch über die Leistung von Schiedsrichter Sippel diskutieren müsste. In der ersten Halbzeit wird Guerrero etwa 5 bis 10 Meter vor dem gegnerischen Strafraum rüde umgerempelt, ein klares Foul, bei dem es dem Stuttgarter Abwehrspieler überhaupt nicht um den Ball ging und wie es der Peruaner schon oft diese Saison hat hinnehmen müssen. Man denke nur an seine Interviews mit von Ellenbogenchecks aufgequollenem Gesicht zuletzt nach dem Spiel in Köln, als er auf die Frage von Journalisten, wie er angesichts der ständigen Nichtbeachtung der vielen Fouls gegen ihn auf dem Platz noch so ruhig bleiben könne. Im direkten Gegenzug an diese Szene fällt das 1:0 für Stuttgart.

     

    Mit diesem Rückstand nimmt sich der HSV dann bis zur Pause komplett selbst aus dem Spiel und Schiedsrichter Sippel zeigt sich grosszügig bei den folgenden zwei Elfmetern für die Gäste. Während der erste noch für eher ungläubiges Kopfschütteln sorgt, da der angeblich Gefoulte selbst einfädelte, eine Vorgehensweise die heute selbst in der Bezirksliga nicht mehr zum Erfolg führt, muss einem der zweite die Zornesröte ins Gesicht treiben, denn hier lag, genau wie zuletzt beim FC Schalke in Enschede objektiv überhaupt nichts vor, für diesen Betrugsversuch hätte es gelb gegen den Stürmer geben müssen. Eigentlich.

     

    Wenn man durch eine gravierende Fehlentscheidung kurz vor Schluss ein Spiel verliert, dann ist das ärgerlich und bitter, die Ohnmacht entfaltet sich dann aber zumeist erst so richtig in der Kabine. Wenn man sich aber bei einem 0:2-Rückstand durch eine Fehlentscheidung kurz vor der Pause gerade nochmal für die zweite Hälfte neu motiviert hat und dann eine noch viel krassere Fehlentscheidung kurz nach dem Wiederanpfiff einstecken muss, dann bleibt einem schon auf dem Platz schier die Luft weg und man fällt in ein tiefes, schwarzes Loch. Zumal Schiedsrichter Sippel weiter konsequent alle Fouls an Guerrero schlicht ignorierte. Auch als ein Stuttgarter Guerrero kurz vor dessem "Ausraster" im Strafraum am Arm klammerte, zu Fall brachte und somit um eine klare Torchance brachte. Herr Sippel sah zu und anschliessend weg, das Spiel lief weiter.

     

    Das sei ihm egal, meinte damals im Interview nach dem Köln-Spiel ein ob seines 1:0-Siegtores in der 88. Minute sichtlich gelöster Guerrero, er müsse halt immer weiter spielen, nur immer weiter und nicht darüber nachdenken, dann würde er auch seine Chance kriegen. Schiedsrichter Sippel hat ihm klargemacht, daß man ein Spiel so leiten kann, daß dieser Selbstschutz nicht mehr funktioniert. Der Tritt gegen Ullreich galt aus meiner Sicht eher dem Spielleiter, zumindest hätte dieser ihn sich moralisch verdient. Aber genau darüber soll ja durch die Handlungsweise des DFB gar nicht erst nachgedacht werden.

  • S
    Sparbier

    Ein solcher Kommentar zu so einem Foul erübrigt sich.

    "Hättest Du geschwiegen,..."

     

    Ich hoffe, es ist bei der taz-Redaktion unüblich, Kunden Flaschen an den Kopf zu werfen, egal was die zu meckern haben.

     

    Und was muss ein "Fußballprofi" wie Guerrero eigentlich machen, um dauerhaft vom Fußballplatz ferngehalten zu werden? - Mit Schusswaffen auflaufen?

  • M
    Maks

    Kann mich meinen Vorrednern nur anschließen,besonders Garrua. Ein vollkommen abstruser Kommentar Herr Rüttenauer.

    Dazu sagen möchte ich auch, dass die Affäre rund um Luis Suarez alles andere eindeutig war, im Endeffekt standen Aussage gegen Aussage. Und dass die Liverpool Fans bei so einem Fall die Seite ihres Spielers einnehmen, ist doch auch nicht verwunderlich...

    Alles in allem eine mehr als fragwürdige Argumentation. Natürlich ist Rassismus im Fußball ein Problem, aber Guerreros Foul hat nun wirklich nichts damit zu tun.

  • BK
    Bernd Kwingzapf

    Diese ausgefuchsten Enthüllungsjournalisten bei der TAZ aber auch! Schön, da mal glasklar die Zusammenhänge erklärt zu bekommen. Das 60-Meter-Anlauf-Foul ist also ein antirassistisches Statement gewesen.

  • JB
    Jörg Betzin

    Leider muss ich wiederholt einen sehr subjektiven Kommentar bei Euch Tazlern lesen.Anders denken heisst ja nicht ganze Tatsachen einfach verdrehen

    und sogar noch hässliche Fouls beschönigen.Eine Bemühung um Objektivität sieht anders aus.Persönliche Beleidigungen als Motiv für einen

    Flaschenwurf und grobes Foulspiel ohne Motiv sind wohl grundverschieden.Außerdem sind Vergleiche mit

    dem Fall Cantona völlig deplaziert.

    Grüsse,

    jörg betzin

  • P
    Paul

    Die erste Erkenntnis vor allen Äußerungen zu jeglichem Geschehen im Profifußball/Profisport wäre, daß dieses Tun kein Sport im eigentlichen Sinn ist. Und niemals sein kann.

     

    Sportlich wäre es z.B. gewesen, wenn Manuel Neuer damals zum Schiedsrichter gegangen wäre und das von den Engländern geschossene Tor angezeigt hätte. Denn er hat gesehen, daß der Ball hinter der Linie gewesen war! Sportlich wäre es gewesen, wenn Boateng dieses völlig unsinnige "Revanchefoul" am Mittelkreis(!) gegen Ballack unterlassen hätte. Es wäre auch sportlich gewesen, wenn Ballack zuvor Boateng nicht geohrfeigt hätte. Es wäre auch sportlich gewesen, wenn Ullrich oder Armstrong....uswusf.

     

    Die Foulerei z.B. im Fußball beginnt doch schon im Kindesalter. Nicht selten von den Trainern gefordert. Hat denn niemand, Sie Herr Rüttenauer nicht auch, irgendwie Angst vor den Folgen solchen Tuns?

     

    Ein Schienenbeinbruch ist zwar kein Beinbruch. Soll sich doch nicht so haben dieses Weichei. Aber wo werden uns diese Ansichten und Verhaltensweisen wohl noch hinführen?

     

    Übrigens ist die verbale Holzerei der Journalisten nicht weniger ärgerlich und gefährlich. Aber auch diese gehört offensichtlich unvermeidbar zum System. Nun denn...

  • G
    Garrua

    Dass Guerrero, obwohl er bis Samstag noch kein einziges Mal des Platzes verwiesen wurde, in den Medien derzeit schlecht wegkommt, stimmt in der Tat. Und dass die durchaus rassistischen und homophoben Beleidigungen, die seinem Flaschenwurf vorausgingen, leider kein großes Thema waren, stimmt auch.

     

    Aber ausgerechnet jetzt, da er tatsächlich das wohl brutalste Foul der Saison begangen hat, Analogien zu Eric Cantonas Einsatz gegen Rassismus in den Stadien zu bemühen, erscheint absolut deplatziert. Die Schelte nach einem derartigen Foul hat Guerrero durchaus verdient, von einer Affekthandlung ist bei einem 60-Meter-Anlauf auch kaum auszugehen und Sven Ulreich, der sich glücklicherweise nicht verletzt hat, ist nach derzeitigem Wissenstand weder rassistisch noch homophob noch sonstwie beleidigend gegen Guerrero oder jemand anderen auffällig geworden.

     

    Hier sollten wir als Fans differenzieren zwischen Situationen, in denen sich ein Spieler zu Recht gegen Diffamierung zur Wehr setzt und groben Unsportlichkeiten bis hin zur versuchten Körperverletzung, wie im aktuellen Fall, die weder zu entschuldigen noch zu relativieren sind. Eine solche Differenzierung geht aus dem Kommentar von Herrn Rüttenauer leider nicht hervor. Schade.

  • J
    JoHnny

    werter andreas rüttenauer,

     

    was heißt hier "verdient" - knapp vorbei

    ist auch vorbei...

    der dfb wird sicherlich froh sein, daß

    ihm der präsidiale a.r. erspart

    geblieben ist.

     

    mfg

  • A
    ama.dablam

    Lese ich richtig? Ein Aufruf zu Selbstjustiz? Und Ulreich hatte Guerrero zuvor beleidigt oder durfte umgemäht werden, weil andere Guerrero beleidgt hatten?

     

    Da hat wohl einer zu lange im Freien campiert...

  • F
    Falk

    Entschuldigung Herr Rüttenauer, aber Ihr Versuch, das BRUTALE Foul von Guerrero in einen gesamtgesellschaftlichen Rassismuszusammenhang zu stellen täuscht über 2 Fakten hinweg. 1. Es gab (oder wir wissen es nicht)KEINE Beleidigungen gegenüber dem Spieler von Ulreich aus. Warum dann hier Cantona-Vergleiche herangezogen werden, erschließt sich keinem Menschen. 2. Es war einen Tätlichkeit. Warum Sie das in Zweifel ziehen ist skandalös. Offenbar haben Sie sich die Bilder nicht angeschaut. Es war kein Tackling gegen den Ball (oder wenigstens das Ball-führenden-Bein, denn der Ball befindet sich rechts vorne vor Ullreichs rechten Bein, während Guerrero die linke Wade attacktiert. Glasklare Sache, kein aus dem Spiel entstandenes absichtliches oder unabsichtliches FOul, sondern eine bewusste Attacke auf den Körper des Gegenspielers.

     

    Weswegen sie durch diese Kolumne versuchen, den Brutalo vom HSV in Schutz zu nehmen, indem sie andere, in keinster Weise in Zusammenhang stehende Szenen anführen, kann nur gemutmaßt werden...den Zweck erfüllt es hoffentlich nicht.