Pressefreiheit auch für Blogger: Die Grundsatzfrage
Weshalb Pressefreiheit nicht bloß für Journalisten gilt, sondern auch für Blogger - und die Klage der Bahn gegen Markus Beckedahl ins Leere läuft.
Die Frage hat grundsätzliche Bedeutung. Darf man brisante Behördenpapiere in voller Länge dokumentieren, auch wenn es darin um Geschäftsgeheimnisse geht? Die Deutsche Bahn will das verhindern und hat, wie die taz berichtete, den Blog Netzpolitik.org abgemahnt. Die Frage betrifft aber nicht nur Blogger, sondern die Medien insgesamt.
Konkret geht es hier um ein Gespräch, das die Berliner Datenschutzbehörde im Oktober mit der Bahn über deren Mitarbeiterbeschnüffelung führte. Das zugehörige Protokoll landete zunächst beim Stern, der den Skandal öffentlich machte; in voller Länge veröffentlichte das Protokoll aber erst der Blogger Markus Beckedahl auf netzpolitik.org. Die Rechtsabteilung der Bahn mahnte ihn daraufhin ab. Er solle die Mitschrift sofort von seiner Seite entfernen. Beckedahl weigert sich.
Die Bahn-Juristen berufen sich zum einen auf Paragraf 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), der den Verrat von Geschäftsgeheimnissen verbietet. Doch diese Vorschrift ist hier gar nicht anwendbar. Weder arbeitet Beckedahl bei der Bahn, noch ist er mit spionageähnlichen Mitteln in ihre Sphäre eingedrungen. Er hat das Protokoll einfach von einem Informanten und es sich damit nicht "unbefugt verschafft".
Außerdem verweist die Bahn auf Paragraf 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Das ist die zentrale Schadenersatzvorschrift des BGB, die auch das Recht am Gewerbebetrieb schützt. Dieses Recht ist wohl verletzt, wenn ein Papier veröffentlicht wird, das eine Vielzahl von internen Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung bei der Bahn näher beschreibt.
Unterlassung und Schadenersatz kann die Bahn aber nur verlangen, wenn der Eingriff in den Betrieb "rechtswidrig" erfolgte. Deshalb muss hier abgewogen werden zwischen den Rechten der Bahn und den Interessen Beckedahls, der sich seinerseits auf Grundrechte berufen kann. Ob Internetblogger eher von der Presse- oder von der Rundfunkfreiheit geschützt sind, ist zwar noch nicht geklärt, macht aber in der Sache keinen Unterschied.
Doch wie geht die Abwägung nun aus? Ein vergleichbarer Fall ist von der Rechtsprechung bisher noch nicht entschieden worden. Ähnliche Rechtsfragen musste der Bundesgerichtshof (BGH) jedoch 1998 klären. Dort ging es um einen TV-Beitrag, bei dem in einer spanischen Ferienanlage unzufriedene Gäste befragt wurden. Das Reiseunternehmen wollte die Ausstrahlung der Aufnahmen verhindern, weil bei den Dreharbeiten sein Hausrecht verletzt worden sei.
Der BGH lehnte die Klage des Reiseunternehmens jedoch ab. Ein "Gewerbebetrieb muss eine der Wahrheit entsprechende Kritik grundsätzlich hinnehmen". Eine vergleichsweise geringfügige Rechtsverletzung bei der Informationsbeschaffung stehe dem nicht entgegen, so der BGH. Dementsprechend darf wohl auch ein brisantes Protokoll veröffentlicht werden, selbst wenn dabei kleinere Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens verletzt werden.
Weniger gut passt der Fall Günter Wallraff, auf den manche Beobachter verweisen. Wallraff hatte sich unter falscher Identität bei der Bild-Zeitung eingeschlichen, was als schwerwiegende Rechtsverletzung gilt. Seine Rechercheergebnisse durften daher nur veröffentlicht werden, weil an der Aufdeckung der Missstände bei Bild "überragendes öffentliches Interesse" besteht, so der BGH und das Bundesverfassungsgericht. Eine hohe Hürde, auf die es bei Beckedahl aber nicht ankommt, weil er niemand getäuscht hat.
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