Press-Schlag: Willkommen im Knochenbrecherbusiness
AUTSCH Die Streif ist gefährlich? Ach was, die Kandahar-Abfahrt in Garmisch ist die neue Streif. Na dann: Knie heil!
Zwei Tote hat es schon gegeben. Giacinto Sertorelli stürzte 1938 auf der Kandahar-Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen, krachte gegen einen Baum und erlag am nächsten Tag seinen schweren Verletzungen. Im Winter vor 22 Jahren brach sich die Österreicherin Ulrike Maier das Genick, als sie mit einer Zeitmessanlage kollidierte. Seitdem werden auf der Strecke, benannt nach dem Earl of Kandahar, keine Frauenrennen mehr veranstaltet.
Man hat an der Strecke gearbeitet, versucht, sie sicherer zu machen. Ja, es gibt Fangnetze an allen kritischen Punkten, und etliche Rennläufer fahren mittlerweile mit einem Oberkörper-Airbag; der Rückenprotektor ist ohnehin obligatorisch. Doch nach dem ersten Abfahrtsrennen in Garmisch musste man sich fragen, ob die Sicherheit im alpinen Skizirkus wirklich oberste Priorität besitzt.
Ein Franzose hatte sich nach einem Crash beide Knie ausgekugelt, ein US-Amerikaner flog ab und verletzte sich auch am Knie. Ein Kanadier knallte nach einem missratenen Sprung auf den Rücken, und es grenzte an ein Wunder, dass er danach aufstand und ins Ziel fuhr. Ein weiterer Franzose erlitt eine Knochenprellung – ganz ohne Sturz. Das sagt alles über die Belastungen von Muskeln, Sehnen und Bändern auf dem Höllenritt den Berg hinunter.
Schlotternde Knie
Das Garmischer Kandahar-Rennen, nur eine Woche nach der legendären Streif veranstaltet, kämpft um seinen Status im Knochenbrecherzirkus und Knieverdrehungsbusiness. Wo selbst den größten Draufgängern und Risikofetischisten die (noch heilen) Knie schlottern, wird es bestimmt richtig geil.
Wenn die Adabeis im sonnigen Zielraum die Schreckenslaute Uh und Ah mit einem wohligen Grusel ausstoßen, dann ist die Gaudi samt Hubschraubereinsatz garantiert. Erst wenn die Rotoren knattern und der Akia im Einsatz ist, wird so ein Rennen zum ultimativen Hingucker. Eine ins Perverse lappende Schaulust will von den Veranstaltern befriedigt werden.
Deswegen werden Pisten mit Hektolitern Wasser zu spiegelglatten Eisflächen getunt. Es werden künstliche Sprungschanzen wie in Garmisch vorm Kramersprung gebaut. Und wer dann abfliegt in die Fangnetze, der hat eben zu viel riskiert. Künstlerpech. Er hätte ja auch defensiver fahren können, der Depp. Oder wie es der Renndirektor vom Skiverband FIS, Markus Waldner, sagte: „Wir waren nicht über dem Limit. Ich habe die Läufer müde gesehen. Man kommt hierher, hat es vielleicht ein bisschen auf die leichte Schulter genommen, aber die Kandahar verzeiht nicht.“ Wer ist schuld? Offensichtlich die Läufer, unverbesserliche Draufgänger, denen die eigene Gesundheit irgendwie wurscht ist. Wer da herunterfährt, ist doch selber schuld, oder?
Nach den Stürzen von Garmisch sagen die Verantwortlichen nun, der Sport sei sicherer geworden. Das stimmt nur insofern, als die Stürze jetzt nicht mehr tödlich enden. Die Grenzen des Zumutbaren werden freilich ständig neu ausgemessen. Das Risikomanagement ist eine beliebte Disziplin in der Skisportszene. Diese Vermessung endet meist beim Unfallchirurgen, der lädierte Gelenke neu richten muss.
Die Abfahrer versuchen sich zwar gegen die Gefahr und gegen die Herausforderungen der modernen Skitechnik zu imprägnieren. Sie werden schwerer, kompakter, muskulöser. Aber wer nicht einen Oberschenkelumfang von 70 Zentimetern hat, der sollte sich gar nicht erst einen Weltcup-Hang herunterwagen. Es könnte böse enden.
Liebe FIS, wie wäre es mit B-Noten für einen besonders spektakulären Abflug? Und wer nach einem Horrorcrash von alleine aufsteht, darf mit aufs Podium. Markus Völker
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