piwik no script img

Press-SchlagZeit zum Aussteigen

■ Der Bericht der Ethik-Kommission von Salt Lake City diskreditiert den IOC-Report

„Man sollte wissen, wann man mithält, wissen, wann man aussteigt, wissen, wann man geht, wissen, wann man rennt“, heißt es im Song „The Gambler“ von Kenny Rogers. Nach Meinung von David D'Alessandro, Direktor des olympischen Topsponsors John Hancock, der ideale Song für den IOC- Präsidenten: „Ich glaube, Samaranch nähert sich dem Ende seiner Aussteigephase.“ Jeden Tag verliere das IOC mehr an Glaubwürdigkeit, sagt D'Alessandro, der erst einmal die olympischen Ringe aus den Briefköpfen seiner Firma getilgt hat und Verhandlungen über Anzeigen im Wert von 20 Millionen Dollar beim Olympiasender NBC stoppte. Der Vertrag mit dem IOC enthalte zwar keine Ausstiegsklausel, aber „man muß die Ringe ja nicht benutzen“ (D'Alessandro).

Der Bericht einer fünfköpfigen Ethik-Kommission in Salt Lake City – die zweite von fünf Untersuchungsinstanzen, die ihre Ergebnisse über Korruption bei der Vergabe der Winterspiele 2002 vorlegte, wird John Hancock kaum bewegen, die olympischen Ringe wieder rauszukramen. Ihre Erkenntnisse gehen weit über das hinaus, was die Ad-hoc-Kommission des IOC unter Leitung von Richard Pound herausfand. Zehn weitere IOC-Mitglieder werden belastet, was die Gesamtzahl auf 24 steigert – ein gutes Viertel. Die Summe für Barzahlungen und andere Gefälligkeiten wird mit rund zwei Millionen Dollar veranschlagt. Das IOC-Gremium hatte nur etwa 800.000 Dollar ermittelt. Kritiker, die von Anfang an gesagt hatten, daß man den Bock zum Gärtner mache, wenn das IOC seinen eigenen Verfehlungen nachspüre, sehen sich bestätigt.

Zweifel an den Bemühungen der Pound-Riege waren schon vorher aufgekommen. So wurde der vom Bewerbungskomitee in Salt Lake City als Agent angeheuerte Mahmoud El-Farnawani aus Toronto, eine zentrale Figur, gar nicht befragt. Pounds Begründung: Er sei in Übersee und nicht erreichbar gewesen. Die Zeitschrift Sports Illustrated hatte jedoch zur selben Zeit keine Mühe, ihn zu Hause telefonisch zu erreichen und sich mit ihm zu treffen. Er habe sich auch gewundert, daß niemand vom IOC mit ihm geredet hätte, sagt El-Farnawani, der von Salt Lake City rund 150.000 Dollar für die Beschaffung von Stimmen nordafrikanischer IOC- Mitglieder erhielt. Wie die Ethik-Kommission jetzt enthüllte, veranlaßte er beispielsweise die Zahlung von 14.500 Dollar in bar an den Enkel des Algeriers Mohamed Zerguini.

Neben netten Geschenken, vom Türknopf bis zum Rassehund und teuren Reisen von IOC-Leuten und ihren Familien zur Super Bowl, nach Disneyland, Las Vegas, zu den Niagarafällen oder zum Skifahren, sind es vor allem Scheinverträge, Stipendien und Barzahlungen, welche die Ethik-Kommission, die 50.000 Dokumentseiten sichtete, ans Licht brachte. Paul Wallwork aus Samoa bekam 30.000 Dollar für „einen Freund in Schwierigkeiten“, die später angeblich zurückgezahlt wurden. Der Tochter von Ecuadors Agustin Arroyo wurden 23.000 Dollar ausgehändigt, „weil sie Hilfe brauchte“, wie es Chefbewerber Tom Welch ausdrückte. 60.000 Dollar erhielt der inzwischen verstorbene Kameruner René Essomba, dessen Familie auch zweimal für jeweils elf Tage im Intercontinental zu Paris untergebracht wurde.

Besonders prekär sind Enthüllungen im Falle des Südkoreaners Kim Un-Yong, der lange als Samaranch-Nachfolger gehandelt wurde. John Kim, der Sohn des ehemaligen Geheimdienstlers, erhielt zwischen 75.000 und 100.000 Dollar für angebliche Beratertätigkeit bei einer Firma, die selbst keinen Cent zahlte. Die Kosten übernahm das Bewerbungskomitee. Außerdem veranlaßte Kim die Zahlung von 15.000 Dollar an eine russische Studentin, deren Verbindung zu ihm laut Bericht unklar ist.

Richard Pound versprach, den neuen Report zu prüfen und rasch zu handeln. Das IOC sei bereit, weitere Mitglieder auszuschließen. Besonders gern würde Pound dies mit seinem Intimfeind Kim tun. Der allerdings will sich nichts gefallen lassen. „Ich werde kämpfen. Ich habe eine Menge Munition.“ Die außerordentliche IOC- Vollversammlung im März verspricht immer spannender zu werden. Matti Lieske

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen