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■ Press-SchlagHermann Neuberger: Hecht im DFB-Teich

„Ach du lieber Gott“, rief der frühere Trainer im Deutschen Fußball-Bund (DFB) Dettmar Cramer konsterniert aus, als ihn die Nachricht vom Tod des DFB-Präsidenten Hermann Neuberger erreichte. Für andere kam das Ableben des 72jährigen Neuberger nach langer Krebskrankheit nicht so überraschend. In Hinblick auf den DFB-Bundestag im Oktober sei, so VfB-Stuttgart-Boß Gerhard Mayer-Vorfelder, bereits abgesprochen gewesen, daß der bisherige Schatzmeister Egidius Braun (67) als Präsident kandidieren würde und der Stuttgarter Multi-Funktionär dafür in die Riege der Vizepräsidenten aufrücke. „Ich kann nicht nebenher DFB-Präsident und Minister im Lande Baden- Württemberg sein. Was dann in drei Jahren wird, muß abgewartet werden.“ Die Perspektive ist also klar: der fromme Egidius, der kürzlich erst beim Aachener Bischof dagegen Sturm lief, daß der Papst die Ehrenmitgliedschaft der Bunten Liga Aachens akzeptierte, mimt den Platzhalter, in drei Jahren steht uns dann ein neuer DFB-Präsident ins Haus, der seine Vorgänger an halbseidener Zwielichtigkeit allesamt in den Sack steckt: Gerhard Mayer-Vorfelder.

Das Amt des DFB-Präsidenten bleibt in jedem Fall ein Hort des Konservatismus, auch wenn die Ära Neuberger beträchtliche Veränderungen brachte. Der umtriebige und machthungrige Saarländer mit dem ausgeprägten Organisationstalent wirkte unter den Funktionären der sechziger Jahre, die alle mehr oder weniger dem Geiste des Turnvaters Jahn verhaftet waren, wie ein Hecht im Karpfenteich. 1975 trat er die Nachfolge von Hermann Gösmann als DFB-Boß an.

Bereits an der Gründung der Bundesliga 1963 war er beteiligt, unter seiner Führung entwickelte sich der DFB zu einem wirtschaftlich florierenden Verband, der im Bereich des Marketing und der TV-Rechte neue Maßstäbe setzte und zu einem der wichtigsten Machtfaktoren im deutschen Sport wurde. Auch im Weltfußballverband FIFA stieg Neuberger schnell auf, von 1974 an organisierte er mit Gründlichkeit und Geschick fünf Weltmeisterschaften und stellte auch die Weichen für die WM 1994 in den USA.

Es dauerte lange, bis er die Kunst lernte, wenigstens den dicksten Fettnäpfchen auszuweichen. Selbstherrlich und oft rüde zu seinen Untergebenen, versuchte der einstige Wehrmachts-Hauptmann im Generalstab in Rom seine Vorstellung von Disziplin durchzusetzen. Ein Nationalspieler verdiene schließlich bis zu 300.000 Mark im Jahr, meinte er, „auch, damit er weiß, halt, es wäre sicher gut, du würdest deine Zunge zügeln.“ Vor der WM 1978 wurde Uli Sitelike aus dem Kader verbannt, weil er gegen den Willen Neubergers zu Real Madrid wechselte, und auch den in die USA abgewanderten Franz Beckenbauer stellte der DFB-Boß ins Abseits. Nachtragend war Neuberger nicht. Obwohl ihn Beckenbauer als „Denunziant“ und „Pharisäer“ geschmäht hatte, machte er ihn auf Geheiß der Bild-Zeitung 1984 zum Teamchef.

Äußerst unangenehm fiel der DFB-Boß durch seinen Hang zum Militär auf. Mit den argentinischen Junta-Generälen demonstrierte er bei der WM 1978 bestes Einvernehmen und bescheinigte ihnen „preußische Gründlichkeit“, den Besuch des Nazi-Obersten und Neonazi- Idols Rudel im deutschen Trainingslager verteidigte er vehement. Noch im letzten Jahr betonte er, wie sehr er ein gemeinsames Essen mit Golfkriegs-General Schwarzkopf genossen habe. Folgerichtig war sein Mittel gegen Hooligans der Polizeiknüppel, für Fanprojekte und Sozialarbeit hatte er nur Verachtung übrig.

Seine großen Lebensziele, FIFA-Präsident oder wenigstens UEFA-Chef zu werden, erreichte Neuberger nie. Den Weg zur FIFA-Spitze blockierte hartnäckig der Brasilianer Joao Havelange, in der UEFA machte sich der mächtige Deutsche mit seiner robusten Art zu viele Feinde.

„Er hat dem DFB Profil gegeben, war eine starke Persönlichkeit und wird eine große Lücke im deutschen Fußball hinterlassen“, lobte posthum Dettmar Cramer. Lückenbüßer Egidius Braun hat andere Talente. „Ein ausgezeichneter Entertainer“, schwärmte einst Franz Beckenbauer. Und das ist mehr, als man etwa von einem Mayer-Vorfelder erwarten kann. Matti

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