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■ Press-SchlagDer neue Kindermann

Alt war er geworden und zahnlos. Aber wie das bei deutschen Funktionären so ist: Abgewählt werden sie nie und zurückgetreten wird erst, wenn das Rentenalter überaus kräftig überschritten wurde. Der Chefankläger und Erfinder des „Fernseh-Urteils“ Hans Kindermann war zuletzt so zahm geworden, daß er und seine spektakulären Anklagen völlig in der Versenkung verschwunden waren. Stolze 70 Jahre war er alt, als er im Herbst dieses Jahres seinen Rücktritt beschloß.

Mit Horst Hilpert hat er — wie sich nun herausstellen sollte — einen wahrlich würdigen Nachfolger gefunden. Zu Beginn seiner Amtszeit machte der 55jährige, im Hauptberuf Präsident des Landesarbeitsgerichts Saarbrücken, noch Schönwetter: „Ich habe 15 Jahre an der Seite von Kindermann gewirkt und schätze ihn und seine unendliche Konsequenz hoch ein. Das muß nicht immer Härte heißen.“ Muß nicht, aber kann. Das demonstrierte Hilpert, sobald sich die Gelegenheit ergab.

Als der Uerdinger Fußballprofi Heiko Laessig am 24.Oktober im Spiel gegen den VfL Bochum nicht mehr an sich halten konnte und seinem Gegenspieler Olaf Dressel die Hoden quetschte, blieb dieser unsittliche Vorfall dem Schiedsrichter verborgen. Aber nicht unserem Herrn Hilpert, denn der sah auf dem Fernsehschirm, wie sich der verhängnisvolle Griff seinen Weg in den Genitalbereich bahnte. Flugs erinnerte er sich an die schöne, aber leider in Vergessenheit geratene Tradition des Fernseh-Urteils, die sein Vorgänger so populär gemacht hatte, und erhob Anklage.

Weil es sich so hübsch ergab, daß nur eine Woche später der für Borussia Dortmund tätige dänische Europameister Flemming Povlsen dem Saarbrücker Libero Michael Kostner vom Schiedsrichter unbemerkt den Ellbogen ins Gesicht rammte, konnte Hilpert gleich noch einmal tätig werden. Auch Povlsen wurde angeklagt, dabei hatte er

vielleicht nur — so vermuten wir — Kostners frischgeborenen Sohn rächen wollen. Dessen größenwahnsinniger Vater ließ den armen Wurm nämlich auf den Vornamen Kevin taufen. In der Verhandlung am Mittwoch erhielt Povlsen vier Wochen Sperre wegen „Tätlichkeit nach Provokation“, weil Kostner sich gegenüber Povlsen ebenfalls nicht sonderlich fein benommen hatte. Der Däne kann am 12.Dezember gegen den KSC wieder spielen. Laessig allerdings wurde zu sechs Wochen verurteilt und hat erst nach dem 23.Dezember wieder Gelegenheit zu überprüfen, was sich in fremden Hosen befindet. Auch bei Povlsen hatte Hilpert als Vorsitzender des DFB- Kontrollausschusses die Höchststrafe von sechs Wochen Sperre beantragt.

Hilpert will den sauberen Fußball, seine Wortwahl in den Verhandlungen trug dem Rechnung: „Kriminell, brutal, rücksichtslos, sittlich und moralisch verwerflich“, seien die Taten der angeklagten Kicker. Doch dies war erst ein Anfang. Am Ende der Horstschen Vision steht die keimfreie Hygienisierung des Fußballs: „Wir werden zugreifen und dafür sorgen, daß bis Ostern Ruhe herrscht.“ Die nächsten Delinquenten sollen „Schwalben-Könige“ und Trainer sein, die sich am Spielfeldrand ungebührlich benehmen („Prestige-Gehabe“, meint Hilpert). Die aktuell Betroffenen sind natürlich nicht derselben Meinung. Christoph Schickhardt, der Verteidiger von Laessig, befürchtet einen „Massenandrang vor dem Sportgericht“ und Dortmunds Manager Michael Meier, der Povlsen vertrat, sieht die Gefahr, daß demnächst Fernsehjournalisten die Mannschaften aufstellen.

Schickhardt, der schon früher mit Kindermann oft ein Rendezvous vor dem Sportgericht hatte, wiegelte aber — wohlwissend ob des Einflusses des neuen Chefanklägers — ab: „Ein sehr guter Jurist. Im Umgangston angenehm, konziliant und moderat, aber knallhart in der Sache.“ Thomas Winkler

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