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■ Press-SchlagVive la France!

Kolossale Katastrophe. Selbst L'Equipe, das französische Sport-Blatt par excellence, hat im Wörterbuch gekramt: Eine „kolossale Katastrophe“ – für die Deutschen natürlich. Und Balsam für die Seelen der Franzosen, die im November 93 eben von Bulgarien aus allen WM- Träumen gerissen wurden: Emil Kostadinov schoß das 2:1 gegen die Trikolore-Elf, die seither Schwarz trägt.

„Frankreich qualifiziert – für 1998“, titelte Libération mit böser Feder. Weil la grande nation die WM in vier Jahren ausrichtet, sind die Franzosen wenigstens sicher, nach 1986 auch einmal im Konzert der „Großen“ mitkicken zu dürfen. Aber das amerikanische mondial hat bewiesen, daß die stolzen Gallier anständige Verlierer sind: keine Häme, kein Schmollen. Weder bei Medien noch bei Fans.

Sogar L'Equipe, seit 90 Jahren Mitorganisator der Tour de France, ist über ihren Schatten gesprungen. Le foot, der Fußball, war deutlich Thema Nr. 1 – sechs Seiten vor dem Viertelfinale, sieben nach dem K.o. für Deutschland. Die Karawane der Profi-Pedaleure hat Romario und Baggio nur einmal die Show gestohlen, als Induráin seine Kollegen beim Einzelzeitfahren in Grund und Boden strampelte.

Die kolossale Katastrophe vom letzten November ist in Frankreich verdrängt. Als unbeteiligte ZuschauerIn ließ sich das Kicker-Spektakel locker konsumieren. Ohne einen Anflug von fanatischem Chauvinismus. Vor allem in Südfrankreich, vom Skandalclub Olympique Marseille längst mit dem Virus des „großen Sports“ infiziert. Fußball – man ist eben international. Wie der Provenzale Eric Cantona, der für Manchester United stürmt und als Gastkommentator beim Staatsfernsehen France 2 mit unsäglichen Banalitäten nervte. Erst beim Halbfinale zwischen Brasilien und Schweden, das noch vor Bulgarien die französische WM- Qualifikationsgruppe gewonnen hatte, gab Cantona Ruhe: Der Heißsporn hatte sich mit der US-Polizei im Stadion angelegt und wurde in Handschellen abgeführt.

Eine Träne im Auge verdrückt dagegen Joäl Quiniou bei seinem Abschied von der WM-Bühne. Der französische Schiedsrichter hat seinem Heimatland immerhin erspart, Bulgarien 1998 als alten Weltmeister begrüßen zu müssen. Findet zumindest Hristo Stoichkov, der Bodo Illgner den Freistoß in die Maschen setzte und die FIFA beschuldigte, im Halbfinale gegen Italien ausgerechnet einen französischen Schiri einzusetzen („der wollte sich an uns rächen“).

Basile Boli, der 1993 mit seinem Tor Olympique Marseille zum Europapokalsieger der Landesmeister machte, zieht dankbar den Hut vor jenen, die Deutschland die „kolossale Katastrophe“ bescherten: „Bulgarien hat wenigstens gezeigt, daß wir nicht von Hampelmännern ausgeschaltet wurden.“ Vive la France! Peter Bausch

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