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Press-SchlagMädchen versteh'n

■ Beim Nations-Cup werden Werbe- und Kinderträume auf dem Eis wahr

Gelsenkirchen (taz) – Nein, kleine Mädchen interessiert es nicht, wer im Ranking der Werbeindustrie und bei der Suche der Gazetten nach Personality- Geschichten an der Spitze liegt. „Marina hat gewonnen“, ruft in der familiären Emscher-Lippe- halle zu Gelsenkirchen eine strahlende Sechsjährige stolz ihrer Freundin zu. „Toll, nicht!“ Die ist auch ganz begeistert über den Sieg ihrer Favoritin in der Frauenkonkurrenz des Nations Cup, und später freuen sich beide über die knitterigen Autogrammkarten, die Marina Kielmann freundlich wie eine Grundschullehrerin an ihre Fans aus der Grundschule verteilt.

Auf dem hausbackenen Kärtchen versucht sich die Dortmunder Bürokauffrau in verführerischer Pose. Das reicht für Kinderträume von einer Prinzessinnen-Karriere auf dem Eis dicke. Und es erklärt, warum es für die dreifache deutsche Meisterin, Vize-Europameisterin und WM-Vierte, nie zu einem Part in der Werbeshow der deutschen Sport-Fräuleinwunder langte. Sie sieht genauso aus, wie man sich eine Angestellte aus dem Ruhrgebiet vorstellt. Hübsch, aber nicht verlockend; nett, aber nicht kokett.

Unvorstellbar, daß sie an einem lauschigen Bergsee sitzt und mit zauberhaftem Lächeln, voller Unschuld und Verheißung Schokoriegel knabbert. Genau das, oder ähnliches, wird Tanja Szewczenko im nächsten Jahr tun. Die Düsseldorferin ist auch keine Modell-Schönheit und noch hat sie keinen internationalen Titel gewonnen, aber sie hat den Vorteil, mit 17 im richtigen Lolita-Alter zu sein und außerdem das Geschäft rechtzeitig verstanden zu haben. Das A und O des Erfolges heißt: „Ausstrahlung“. Folglich: „Daran arbeite ich.“ Auf die Sprünge hilft ihr die Spitzen- Choreographin Uschi Kessler, die auch dem kanadischen Weltmeister Elvis Stoijko seine ambitionierten Techno-Küren kreiert.

Und weil Fräulein Szewczenko zudem ohnehin schon über sprudelnd offenherzigen Mädchen-Charme verfügt (Probleme mit der Öffentlichkeit? „Das Telefon klingelt pausenlos ... ich weiß auch nicht ... ach, man wächst da so rein ...“), ist sie nach Franziska van Almsick als zweite Botschafterin für sinnliches Genießen lila verpackter Schokolade engagiert.

Marina Kielmann hat zu spät bemerkt, daß Erfolg nicht nur Hochleistung ist. Nun, mit 26 hat sie „am meisten dran gearbeitet“, auf dem Eis nicht mehr auszusehen, als arbeite sie einen Berg Akten ab. In Gelsenkirchen freute sie sich auch „am meisten“ darüber, daß sie eine höhere künstlerische Note als technische Bewertung bekam, und beide waren jeweils die höchsten der gesamten, allerdings schwächlichen Konkurrenz. Doch bestenfalls wird ihr das im Januar noch einen vierten deutschen Meistertitel einbringen. Und wenn sie Pech hat, und das hat sie meistens, wird Tanja Szewczenko bis dahin ihren Trainingsrückstand aufgeholt haben, der sich mehrwöchig einstellte, weil ihr ein unpassender rechter Schlittschuh Knochenhaut und Muskeln schikanierte.

Vor durchschnittlich 1.500 Nations-Cup-Zuschauern führte das vor allem zu mentalen Malaisen, diesen oder jenen Hüpfer hatte sie „nicht zugelassen, ich weiß auch nicht warum“. Deshalb also konnte Marina Kielmann in einem Wettbewerb, in dem es offiziell um eine Nationenwertung (Sieger: Deutschland), wesentlich aber ums innerdeutsche Kräftemessen bei den Frauen ging, noch einmal obsiegen. Als sie vom Eis ging, flogen anders als beim Sonnenschein Tanja Blumensträuße und Stofftiere.

Es mag nicht für lukrative Verträge reichen, aber auf den Rängen, zumal denen der heimischen Malocherregion, mögen es Kinder und Mütter, wenn sich eine der ihren mit – genau: ehrlicher – Arbeit gegen Glamour und Edel-Choreographie durchsetzt. Tanja Szewczenko nimmt's nicht tragisch. Vor der Kür hatte sie „gebibbert“ eingedenk der dummen Patzer im Kurzprogramm, vier Minuten und nur noch zwei Schludrigkeiten später aber weiß sie, daß die Zukunft sowieso ihr gehört. Katrin-Weber Klüver

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