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Press-SchlagKäpten Klinsi, hilf!

■ Verzweifelt beschwört Berti Vogts eine blonde Metapher des Guten

Geschichten erzählt man sich an der Londoner White Hart Lane von Wutanfällen eines Mannes, von dem die Welt stets nur ein ungewöhnlich freundliches, sympathisches Gesicht zu sehen bekommt. Gary Lineker, von Englands bestem Torproduzenten zum Observer-Kolumnisten mutiert, hat den Mann neulich gefragt, und Jürgen Klinsmann hat ihm gerne bestätigt, daß er „wirklich schrecklich sein könne“, direkt nach einem Spiel. Der Grund für seine Anfälle: eine permanante Unzufriedenheit mit dem Erreichten. „Selbst wenn ich drei Tore geschossen habe“, sagt Klinsmann, „denke ich, es hätten mehr sein können.“

Gut gesprochen, hat Gary Lineker befunden, genau dies nämlich sei wichtigste Voraussetzung für einen Weltklasse- Stürmer. Mag sein. Es ist aber auch Indiz für einen ausgeprägten Individualismus. Ein Mann denkt an sich zuerst. Muß er, denn Jürgen Klinsmann (30) ist nicht zuletzt deshalb kein Profi wie jeder andere, weil er professioneller ist als der Rest. Nicht daß er sich mit Hilfe einer Marketingagentur ein Image hat schneidern lassen. Es ist ihm zugeflogen, weil da eine Sehnsucht war und eine Marktlücke, die der deutsche Fußball meist unbesetzt lassen mußte. Jene Lücke hat Klinsmann seither nach bestem Gewissen ausgefüllt und mit dem professionellen Wissen, daß Journalisten wichtig sind, es sich auszahlt, zu strahlen, wenn auf einer Fernsehkamera vorne Rotlicht aufleuchtet. Zwar hat der gelernte Bäcker gern davon gesprochen, er könne auch anderes, doch eben nichts besser als Fußball. Zwar hat er in all den Jahren Englisch, Italienisch, Französisch gelernt, doch nicht, einen deutschen Relativsatz korrekt einzuleiten. Natürlich hatte er neben dem für Fototermine gern präsentierten VW-Käfer auch schon vor Jahren einen Porsche in der Garage. Und selbstverständlich hat er, als amnesty international ihn vergangenen Sommer bat, sich in den USA gegen die Todesstrafe einzusetzen, nicht reagiert. Es war Weltmeisterschaft, und Jürgen Klinsmann ist kein Weltverbesserer und auch kein Supermann. Er ist Fußballer und wollte Weltmeister werden – und keinen Ärger haben.

Nun hat ihn Berti Vogts für das heutige Testspiel gegen Spanien in Jerez (21.30 Uhr, ARD) zum Spielführer der Nationalmannschaft bestimmt, und man kann das durchaus als letzten Versuch des bedrängten Bundestrainers werten, jenes Ideal von Ordnung herzustellen, dessen Fehlen seiner Meinung nach die ganze Malaise ausgelöst hat. Der Vorstopper Kohler, wegen häufigeren nationalen Einsatzes der eigentliche Bindenkandidat, pflegte ausgerechnet mit den Renegaten Effenberg und Illgner nähere Bekanntschaft! Worauf Vogts, ansonsten Bewahrer überkommener Regularien, die Altersregel erfand und findig feststellte, daß Klinsmann „ein Jahr älter“ sei.

Ist es schließlich nicht der Blonde, der sich wiederholt deutlich gegen Effenberg ausgesprochen hat, stets für Vogts, und der, weil sich keiner sonst fand, die Ausfälle des unantastbaren Matthäus rügen mußte? Zwar beteuert Vogts, die Sache sei temporär, und Klinsmann selbst ist „guter Hoffnung“, daß Matthäus zurückkehrt, doch in Wahrheit planen beide längst ohne den herrschsüchtigen Lothar.

Mit Klinsmann als Progatonist und Gegenpol zum, dank wachsenden Hofstaats, immer mächtiger werdenden Sammer visioniert Vogts eine geregelte, intrigenfreie Ordnung. Doch ob dafür der Blonde taugen wird? Der bisher kaum zufällig „immer wenn die Kapitänsbinde in die Nähe kam, vorher den Abgang“ zu machen pflegte. Der in seinen siebzig Länderspielen programmatisch stets als letzter einlief.

Nach den darwinistischen Gesetzen der Branche ist nichts weniger ordnungsfeindlich als ein demokratischer primus inter pares. Und einen Anführer wird die Nummer 18 nie abgeben. Stark war Jürgen Klinsmann stets, wenn er den hüpfenden Ball nach einigem quälenden Hin und Her doch noch an den Fuß kriegte und allein davongaloppieren konnte. Peter Unfried

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