■ Press-Schlag: Lizenz zum Rüpeln
Kaum sind die Zäune in den Sportstadien, die die Spieler vor wildgewordenen Zuschauern schützen sollten, aus der Mode gekommen, müssen sie möglicherweise wieder errichtet werden: um die Zuschauer vor wildgewordenen Spielern zu schützen. Zu beobachten ist eine zunehmende Empfindsamkeit von Sportlern den verbalinjurierenden Teilen des Publikums gegenüber.
Manchester Uniteds Eric Cantona setzte in Kung-Fu- Manier über die Bande, um einen Rüpel, der ihn als „dreckiges, französisches Arschloch“ bezeichnet hatte, niederzutreten. In der Basketball-Liga NBA erklomm Houstons Vernon Maxwell die Ränge und verpaßte einem betrunkenen Zuschauer, der den Spieler mit rassistischen Sprüchen und Anspielungen auf den Unfalltod seiner Tochter gereizt hatte, einen rechten Haken. Am Dienstag fiel Preussen Berlins Tom O'Regan mit dem Stock über alkoholisierte Kölner Eishockey- Fans her, die ihn weitgehend ungehindert auf der Strafbank anpöbeln durften.
Vorkommnisse, die sich auf den Streß zurückführen lassen, unter dem Spitzensportler heutzutage stehen, andererseits aber auch eine gesteigerte Aggressivität der Fans erkennen lassen. Die Zeiten, als Sportler, auch die des gegnerischen Teams, noch als verehrte, unantastbare Idole auf einem Sockel standen, sind zwar seit Ewigkeiten vorbei, doch gezielte persönliche Schmähungen und Gemeinheiten gab es vor allem bei den Hallensportarten eher selten – wiewohl gerade im Eishockey ein hämisches „Josef, deine Frau geht fremd“ zur Irritation des Torwarts oder das unvermeidliche „Sitz, du Sau“ beim Aufsuchen der Strafbank schon länger dazugehören.
„Ist der Kauf einer Eintrittskarte eine Lizenz zum Rüpeln?“ fragte USA Today; die Antworten waren vielfältig. „So ist es eben“, meint Maxwells Teamkollege Mario Elie, „du mußt halt damit klarkommen.“ Maxwell ist naturgemäß anderer Meinung. „Es sollte keine Jagdsaison auf Spieler geben“, sagt er und beklagt „einen Mangel an Kontrolle über widerwärtige, ungebärdige und obszöne Fans.“ Den kürzeren zogen bei derartigen Auseinandersetzungen bisher meist die Spieler. Cantona wurde für die gesamte Saison gesperrt und gestern zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt, Vernon Maxwell bekam zehn Spiele Sperre, Football-Spieler Bryan Cox sollte 3.000 Dollar zahlen, weil er Zuschauern, die ihn rassistisch beleidigten, den Mittelfinger entgegenhielt, Stefan Effenberg erhielt für dieselbe Geste immerhin ein Gratis-Flugticket.
Der Sportsoziologe Richard Lapchick weist den Spielern durchaus eine Mitschuld am üblen Publikumsgebaren zu. Die Aggressivität auf dem Feld übertrage sich auf die Ränge. Letztlich sei aber die zunehmende „In- your-face“-Haltung in der Gesellschaft für die Misere verantwortlich. Matti Lieske
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