Press-Schlag: Volldampf-Fußball
■ DFB-Frauen kehren mit dem EM- Gewinn an die Weltspitze zurück
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte sich feingemacht. Alles, was einen Posten und eines dieser dunkelblauen Sakkos hatte, war dabei. Von Egidius „Pater“ Braun bis zum letzten Untersekretär – Leute, die teilweise bisher überhaupt nicht wußten, ob im Frauenfußball noch 80 Minuten oder die vollen 90 gespielt werden. Aber wenn es was zu feiern gibt, ist Anwesenheit Pflicht. Und bei den Frauen, die sich bis vor kurzem noch „Damen“ nennen mußten, ist die Wahrscheinlichkeit, daß es was zu feiern gibt, wenn sie in einem Endspiel stehen, wesentlich höher als bei den Männern. Genauer gesagt: Sie beträgt 100 Prozent – drittes EM-Finale, dritter Titel. So einfach geht das.
Obwohl, so einfach schien das vorher gar nicht. Denn in Italien vor zwei Jahren hatten sie mit Platz vier ihre erste richtige Identitätskrise seit den beiden gewonnenen Europameisterschaften 1987 und 1989. Das jetzige Team dagegen, nur auf wenigen Positionen verändert, hat seit einem Jahr kein Spiel mehr verloren. Trotzdem nagten die Zweifel, ob das Team denn wirklich wieder zur absoluten Spitze gehören würde.
Und dann dieser 3:2-Sieg gegen die Schwedinnen, dieser wirklich große Sieg gegen die vermeintlichen Favoritinnen. Nach zehn Minuten fragten sich alle im Stadion: Wie will das Team dieses wahnsinnige Tempo durchhalten, dieses Pressing schon in der Hälfte der Skandinavierinnen, die kaum Gelegenheit hatten, die Mittellinie zu überschreiten? Erst recht nach dem verblüffenden 0:1 durch den perfekten Freistoß von Malin Andersson. Doch schienen die bundesrepublikanischen Frauen den Rückschlag gar nicht wahrzunehmen. Sie hielten mit ihrem Volldampf- Fußball nur für einen winzigen Moment inne, dann ging es mit unvermindertem Tempo weiter, fast die ganzen 90 Minuten. Bestechend vor allem die spielerische und technische Brillanz, die jede Akteurin unter diesem psychischen Druck an den Tag legte. Hacke, Spitze, Doppelpaß gehörten zum Standardrepertoire selbst der Abwehrspezialistinnen. Phasenweise lief der Ball direkt über sechs, sieben Stationen.
Was unterscheidet die „Loser“ von Italien von den so überzeugenden Europameisterinnen 1995? „Wir waren damals noch zu jung“, sagt die 24jährige Verteidigerin Anouschka Bernhard vom FSV Frankfurt, „zu grün hinter den Ohren.“ Bundestrainerin Tina Theune-Meyer, neben Gero Bisanz verantwortlich, meint dagegen: „Einige von den erfahrenen Spielerinnen glaubten damals, sie könnten das mit links machen und bräuchten nicht mehr an sich zu arbeiten.“ Drei sind noch dabei, die schon 1987 den EM- Titel geholt hatten. Kapitänin Silvia Neid (30), Torschützen- Königin Heidi Mohr (28) mit 65 Toren in 75 Spielen und Martina Voss (27). Sie sind alle nicht jünger geworden, aber niemand will auf sie verzichten. Silvia Neid, die auf die Frage, was denn der Unterschied zwischen Rekordnationalspieler Lothar Matthäus und ihr (92 Spiele) sei, lapidar antwortete: „Fünf Zentimeter“, wird allein durch ihre Präsenz gebraucht, auch wenn sie mal ein schwächeres Spiel macht. Offensichtlich braucht die neue Generation mit Bettina Wiegmann, Maren Meinert und Dagmar Pohlmann die Galionsfigur Neid auch, um sich an ihr abzuarbeiten.
Die echten Alternativen sind es, die dieses Team so stark machen. Im Angriff jedoch hat der Aufschwung einen konkreten Namen: Prinz. Die Leistung und Power der 17jährigen Birgit Prinz vom FSV Frankfurt ist fast beängstigend. Die Spielerin, von der Kollegin Bernhard behauptet, „sie wird die Stürmerin der 90er Jahre“, ist zum Sieggaranten aufgestiegen. Bezeichnend, daß vor dem Spiel niemand dagegenhielt, als jemand wetten wollte: „100 Mark darauf, daß Birgit das entscheidende Tor heute schießt.“ Eine Wette ohne Quote, wie sich herausstellte. Matthias Kittmann
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