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■ Press-SchlagEric Cantonas Sardinen

War es Tschechow? Oder war es doch eher selbstgebastelt? Seit Eric Cantonas Freispruch am vergangenen Wochenende rätseln die Medien über die Pressekonferenz nach der Urteilsverkündung. Der 28jährige französische Nationalspieler in den Diensten von Manchester United war zunächst zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt worden, nachdem er einen Fan von Crystal Palace beim Auswärtsspiel in London mit einem Kung-Fu-Tritt ins Gesicht vorübergehend außer Gefecht gesetzt hatte. Das Opfer, ein aktenkundiger Rechtsradikaler, hatte Cantona, der gerade vom Platz gestellt worden war, mit rassistischen Sprüchen in Wut gebracht, die auch „die stoischste Person provoziert hätten“, wie der Richter einräumte.

Statt zwei Wochen im Gefängnis muß der Franzose nun 120 Stunden lang Jugendlichen aus Manchester das Fußballspielen beibringen. Auf der Pressekonferenz nach der Urteilsverkündung sagte Cantona: „Wenn die Möwen dem Fischkutter folgen, so tun sie das in der Hoffnung, daß Sardinen ins Meer geworfen werden.“ Mit diesen Worten erhob sich Cantona und verließ den Raum. Die anwesenden Journalisten konnten damit nichts anfangen, hegten aber den Verdacht, daß sie soeben beleidigt worden waren. Cantonas Anwalt Maurice Watkins konnte auch kein Licht in die Angelegenheit bringen. „Daran seht ihr, unter welch extremem Druck Eric stand“, stotterte er. Er fügte hinzu, daß Cantonas „Liebesaffäre mit England durch die Angelegenheit schwer beeinträchtigt“ worden sei. Es heißt, Inter Mailand habe fünf Millionen Pfund für ihn geboten.

Neben den 120 Stunden Jugendtraining – spätestens am Montag muß er damit beginnen – ist Cantona vom Verband und von seinem Verein zu Geldstrafen von umgerechnet rund 50.000 Mark verurteilt sowie acht Monate gesperrt worden. Unterdessen wälzen die Journalisten klassische Literatur. Die Times glaubte, Cantonas Bemerkung sei von Tschechows Gedicht „Die Möwe“ inspiriert, doch der Philosophieprofessor Roger Scruton aus Boston winkte ab: „Sport hatte immer eine philosophische Seite“, sagte er, „für die Griechen war es eine religiöse und meditative Zeremonie, für Homer war es neben dem Krieg die wichtigste Sache der Welt. Aber irgendwie ist Cantona nicht in derselben Liga.“

Cantona hat einen berühmten Landsmann als Vorbild: Albert Camus, den Torwart des Profi-Teams von Algiers. Während der jedoch existentialistische Theaterstücke schrieb, dichtete Cantona vor kurzem: „Das Leben ist immer so gemein,/ wir können nur sagen, laß uns versuchen,/ den Ball abzuspielen und die Sonne scheinen zu lassen,/ wir wollen hoffen, daß die Sonne auf alle scheint“. Und wir wollen hoffen, daß er den Jugendlichen Fußball beibringt, und nicht Dichtkunst. Ralf Sotscheck, London

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