Press-Schlag: Der Erfinder des Schneegalopps
■ Vor 100 Jahren veröffentlichte Mathias Zdarsky seine Ski-Thesen
Erwähnt man in österreichischen Skilehrerkreisen seinen Namen, verziehen sich die Mienen: Mathias Zdarsky ist zwar längst tot, doch gilt er ihnen immer noch als einer, der mit ihren hippen Attitüden nichts zu tun haben wollte. Der Hamburger Wilhelm Rickmer Rickmers, Sohn eines Reeders und Gebirgsforschers, nannte ihn dagegen den „Newton des Skifahrens“. Heute vor 100 Jahren begann Zdarsky mit der Niederschrift seines Buches „Lilienfelder Ski-Technik“. Erscheinen mußte es jedoch im Hamburger Verlag J.F. Richter: In seinem Heimatland Österreich fand sich niemand, der die revolutionäre Schrift publizieren wollte – allzusehr war die Wiener Schickeria bei ihren Ausflügen zum Semmering, dem Hausberg der besseren Kreise Wiens, davon überzeugt, daß der spinnerte Provinzler ihnen nichts beizubringen habe.
Zdarsky, 1856 als zehntes Kind eines Müllers im südmährischen Koschichowitz geboren, hat vor allem jenen eine Menge zu erzählen gehabt, die sich beim Laufen auf Brettern unversehens schwer verletzten. Denn bis Zdarsky seine systematische Abhandlung über die Kunst, einen Berg hinunterzufahren, verfaßte, kannte man nur die körperaufrechte Raserei eine linealgerade Linie hinunter.
In einer Ausgabe des Wiener Fremdenblattes aus dem Jahre 1895 hieß es: „Wenn so ein nordischer Recke durch den tiefverschneiten Urwald seiner Heimat saust und ein Riesenbaum, vom Sturme gefällt, ihm den Weg verwehrt, übt der Recke einen Druck auf die Skispitze und fliegt in hohem Bogen über den haushohen Urwaldriesen, um harmlos weiter durch den Urwald zu sausen.“ Zdarsky konnte dem keinen Glauben schenken: Bei Meditationen auf seinem Gut in der Gemeinde Lilienfeld hatte er Zweifel entwickelt, ob das Skilaufen, wie es aus Norwegen überliefert und von dort durch Frithjof Nansen popularisiert wurde, wirklich auch im stark abschüssigen Geläuf funktionieren könnte.
Die Bindungen waren damals faktisch nur eine Klammer. Alpines Skifahren Ende des vergangenen Jahrhunderts – das war ungefähr so, als versuchte eine Eiskunstläuferin auf Pumps die eingesprungene Sitzpirouette. Dementsprechend oft verletzten sich die Skiwilligen. Zdarsky wollte sich selbst überzeugen, fuhr zum Vergnügungsplatz seiner Hauptstädter und schrieb: „Ich kam, sah und stutzte. Der Druck auf die Skispitze war immer eigentlich der Druck auf die Reversseite. Und statt des hohen Bogens durch die Luft sah ich nur tiefe Löcher in der Schneedecke.“
Der eigenbrötlerische Mann machte sich seinen Reim auf derlei Unfug – und entwickelte nicht nur den in seiner heutigen Form bekannten Skistiefel, sondern auch eine Technik, die er norwegischen Gemsen und österreichischen Steinböcken abgeschaut hat. Diese traben nicht gleichmäßig den Hang hinunter, nein, sie galoppieren. Nicht geradeaus müsse man fahren, schrieb Zdarsky also, sondern im Galopp; nur auf diese Weise könnten Bögen gefahren werden.
Der Erfolg gab ihm zunächst recht: 20.000 Menschen brachte er bis zu seinem Tod am 20. Juni 1940 den gefahrlosen Umgang mit den Brettern bei. Doch die österreichischen Skinomenklatura wollte von ihm nichts wissen: Allzusehr mischte er sich in ihr Geschäft ein, von Humanismus und hehren Werten des Sports mochten sie sich nicht ankränkeln lassen. Die offiziellen Skiverbände ignorieren seine Pionierarbeiten bis heute. Der Hamburger Skiverband behandelt Horst Tiwald, Sportwissenschaftler an der Universität Hamburg und Initiator einer zu Zdarskys Ehren ausgerichteten Ausstellung, nach wie vor wie einen Paria.
Immerhin gibt das österreichische Konsulat heute abend zu Zdarskys Ehren einen Empfang. Im übrigen gibt der aktuelle Skisport dem Brettl-Pionier im nachhinein recht: Alberto Tomba, Martina Ertl oder Pernilla Wiberg beherrschen die Technik des Österreichers perfekt. Jan Feddersen
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