Press-Schlag: Die Welle weiterreiten
■ Teenieschwarm und Musterschüler: Patrick Rafter gewinnt die US Open
Es ist, sagen wir es mal so, ein rasanter Aufstieg. Patrick Rafter (24) ist seit dem gestrigen Montag der drittbeste Tennis- Spieler der Welt. Sagt der Computer. Man kann es aber auch so sagen: Sein 6:3, 6:2, 4:6, 7:5-Erfolg im Finale der US Open gegen Greg Rusedski war erst der zweite Turniersieg seiner Karriere. Fünfmal hatte Rafter zuvor in diesem Jahr bereits ein Endspiel erreicht. Daran konnte man erkennen, daß der Anfang 1997 noch als Nummer 63 geführte Teenieschwarm die davor liegenden 18 Monate voller Verletzungen überwunden hatte. Aber: Fünfmal in diesem Jahr hatte Rafter ein Endspiel auch verloren. Was eher darauf hindeutete, daß er niemals den hochgesteckten Erwartungen in seiner australischen Heimat gerecht werden würde.
Während das Finale 6:0, 6:0 von Martina Hingis gegen Venus Williams ebenso langweilig wie unüberraschend kam, wähnte sich Rafter „im Fantasieland“. In New York muß etwas passiert sein. Ungefähr das, was im Mai in Paris einem gewissen Gustavo Kuerten geschah. Bisher war es so, daß „das Viertelfinale immer gut genug war“. Und? Plötzlich „ist es passiert“. Es? „Ich weiß nicht, was ich darüber sagen soll.“ Er hat es dann „Welle“ genannt, wie es sich für einen vom fünften Kontinent geziemt. „Ich habe beschlossen, es zu genießen“, hatte er zu Beginn der US Open vermeldet, „einfach aufzuhören, mir Sorgen zu machen.“
Auf der Welle gilt es nun „weiterzureiten“. Vielleicht bis zur Nummer Eins? Sicherlich ist „Pete Sampras noch so weit weg von allen anderen“. Aber wer weiß schon, was geschieht? Denn: „Vielleicht passieren wieder Dinge, von denen ich niemals geträumt hätte.“
Für den Aufstieg eines talentierten Sonnyboys mit eindimensionalem Spiel, das fast völlig auf Serve-and-Volley baut, zum US-Open-Champion, dafür gibt es keine Erklärung. Vielleicht ein paar Gründe. Die ersten Jahre als Profi war Rafter so durch die ATP-Tour gedaddelt, hatte gewonnen, hatte verloren und schließlich 1994 in Manchester seinen bisher einzigen Turniersieg geschafft. Dann kamen die Jahre 95 und 96, in denen Rafter von Platz 21 der Weltrangliste abstürzte. Wegen Verletzungen am Knöchel und an der Schulter mußte er für Monate aussetzen. In dieser Zeit „fand ich die Lust am Tennis wieder. Ich saß da, alle überholten mich und ich dachte, da will ich sein, ich will wieder auf die Tour.“ Was folgte, war „harte Arbeit“ mit seinem Trainer und Bruder Geoff.
Rafter hat die alten australischen Tennishelden nie spielen sehen. Er kannte sie nur aus den bewundernden Erzählungen seines Vaters. „Ich dachte, das wären 'ne Art Götter oder so was.“ Inzwischen greift ihm jeder, der in Australien jemals einen Tennisschläger gerade halten konnte, unter die Arme. Tony Roche trainiert ihn manchmal und saß in New York neben Geoff Rafter. Öfter mal klingelt das Telefon und John Newcombe ruft durch, wenn ihm etwas aufgefallen ist an Rafters Spiel. Auch mit Rod Laver, Ken Rosewall und Fred Stolle wird ab und an geplaudert.
Kein Wunder, daß Rafter sein klassisches Serve-and-Volley ebenso kompromißlos spielt, wie es seine Vorgänger taten. Ein anderer Australier, Pat Cash, hat vor zehn Jahren mit dieser Spielweise noch Wimbledon gewonnen. Schon damals war der Stil antiquiert, bei dem der Aufschlag weniger hart als variiert kommen muß, das Nachrücken ans Netz, der erste Volley und die Balance zwischen diesen drei Elementen entscheidend sind. Während des Finals stellte Rusedski einen neuen Aufschlagweltrekord auf: 230,1 Stundenkilometer. Es hat ihm nichts genützt. Aber das ist das Spiel der Gegenwart, auch wenn Rusedski zu langsam ist, um hinter seinen aberwitzigen Aufschlägen schnell genug ans Netz zu kommen, und seine Grundschläge zu unsicher sind, um auch von hinten dauerhaft punkten zu können. Rafter aber ist dabei, sein Spiel zu komplettieren. Er hat Fortschritte gemacht von der Grundlinie. Und er war noch nie einer von denen, die allzu weich aufschlagen. Aber entscheidend wird sein, ob er weiterhin die richtige Balance findet. Thomas Winkler
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