Press-Schlag: Helft dem Genossen Viktor Onopko!
■ Schutzschrift zum vorsorglichen Protest gegen den WM-Qualifikationssieg Italiens
Hiermit legen wir vorsorglich Protest ein gegen die absehbare Qualifikation Italiens zur Fußballweltmeisterschaft 1998 in den beiden Qualifikationsspielen gegen Rußland (29. Oktober und 12. November). Wir fechten bereits jetzt sämtliche Fälle von „umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen“, gegebenen Latteunterkantetreffern, „übersehenen Foulspiels“ oder „höherer Gewalt“ an. Ebenso weisen wir die geplante Reaktivierung des holländischen Schiedsrichters Leonardus van der Kroft zurück, der Borussia Mönchengladbach 1976 im Spiel bei Real Madrid zwei Tore aberkannte. Zwar wurde von der Fifa tückischerweise ein anderer Schiedsrichter nominiert, doch deutet einiges darauf hin, daß dieser am Tag vor dem Hinspiel einem „bedauerlichen Unfall“ zum Opfer fallen und van der Kroft an seine Stelle treten wird. Auch dagegen, daß das Schiedsrichtergespann des Rückspiels und die italienischen „Stürmer“ von einem strafraumgeschulten Choreographen unter Mithilfe Bernd Hölzenbeins fernsehgerecht aufeinander eingestimmt werden sollen, erheben wir unsere Stimme.
Schließlich verweigern wir der Fifa-Entscheidung unsere Zustimmung, die Russen, falls alles nicht hilft, im Falle eines Falles nachträglich wegen Unbespielbarkeit des Platzes zu disqualifizieren.
Begründung:
Die Fifa wird nach unserer Überzeugung bei diesen Spielen nicht einfach zuschauen nach der Devise: „Der Bessere möge gewinnen.“ Russen gegen Italiener, das heißt: Hier ein darbendes, lediglich über Schwarzweißfernseher verfügendes, von der Zeitverschiebung benachteiligtes, mangels Devisen zum Konsum ungeeignetes Volk mit grobschlächtigen Fußballern, die sich der Vermarktung als Popstars erfolgreich widersetzen. Dort ein reicher G-7-Staat, bevölkert von 60 Millionen Fußball- und Fernsehverrückten, die zudem jeden Nippes kaufen, der ihnen als „Merchandising“ untergejubelt wird, und die problemlos per Bus in die grenznahen französischen Stadien reisen können, um unter Entrichtung horrender Eintrittspreise die Spiele der Schönlinge von der squadra azzurra zu verfolgen
Die Nichtqualifikation Italiens würde nach Berechnungen des Weltwährungsfonds summa summarum einen Verlust von 64.300.000.800.000.000 Lire wegen ausfallender Werbeeinnahmen, Fernsehgelder sowie Erlösen aus Souvenirverkäufen, Pauschalreisearrangements und Eintrittsgeldern bedeuten. Nicht gerechnet die Profite aus illegalen Wettgeschäften, ein Gebiet, auf dem die Russen trotz ihrer angeblichen Mafia ebenfalls wenig zu bieten haben.
Ein Ausscheiden Rußlands hingegen brächte einen voraussichtlichen Zusatzgewinn von 600.000.000 Dollars, weil desinformierte antikommunistische US-Unternehmen bereits angekündigt haben, ihre Fernsehspots nur schalten zu wollen, wenn die WM ohne die „bloody communists“ aus dem finsteren Rußland stattfindet.
Dagegen rufen wir heute aus: Sport frei! Glaubt nichts, was ihr im Fernsehen seht! Rettet den Genossen Viktor Onopko! Die Wahrheit steht nur in der Prawda!
Gezeichnet: Die Genossen Onopkos, vertreten durch Oliver Thomas Domzalski, 25. Oktober 1997
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