Press-Schlag: Prächtige Schachstadt mitten in Kalmückien
■ Kirsan Iljumschinow, millionenschwerer Chef des Weltverbandes, gerät unter Druck
„Mein einziges Wahlversprechen: Rußlands Nationalmannschaft wird Fußball-Weltmeister.“ So zieht Kirsan Iljumschinow in einen weiteren Wahlkampf. Im Jahr 2000 möchte der Kalmücke Nachfolger von Boris Jelzin werden. Es wäre nicht das erste Mal, daß der umtriebige 36jährige mit schlichten Parolen sein Ziel erreicht. 1993 genügten in seiner Heimatrepublik die Aussagen, daß jeder seiner bettelarmen Landsleute 100 Dollar als Lohn für die „richtige“ Wahl erhalte und Diego Armando Maradona künftig für eine lokale Fußballmannschaft in Elista gegen das Leder trete, zur Präsidentschaft.
1995 hievte sich der Selfmademillionär mit großzügigen finanziellen Zusagen auf den in Rußland renommierten Thron des Schach-Weltverbandes Fide. Zuletzt pumpte Iljumschinow im Januar fünf Millionen Dollar in die Weltmeisterschaft. Für ihn sprang dabei in Lausanne ein weiteres Foto für das pedantisch geführte Erinnerungsalbum heraus, das Iljumschinow mit den Mächtigen dieser Welt zeigt: IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch findet sich nun darin zusammen mit dem Papst, dem Dalai Lama, Michail Gorbatschow und Saddam Hussein. Von dem war Iljumschinow besonders angetan. Hussein sei sehr kultiviert, gebildet und verstehe viel von Geschichte und Politik. Damit nicht genug: „Ich habe die gleiche Art Eindruck von ihm wie vom Papst!“
Nun bröckelt aber die Front der ergebenen Hofschranzen, und sogar die ansonsten moderat formulierende Bibel aller Schachspieler, „New in Chess“, rief unverhohlen zum Boykott der traditionsreichen Schach- Olympiade auf. Iljumschinow hat die 156 nationalen Fide- Verbände vom 26. September bis zum 13. Oktober nach Elista geladen. Eigens dafür läßt er unter Hochdruck das über 60 Millionen Mark teure „Bauwerk des Jahrhunderts“, eine Schachstadt mit einem zentralen Palast, aus dem Boden stampfen. Nach der Olympiade soll dort eine Freihandelszone entstehen, und die Wohnungen will Iljumschinow an die 450.000 Einwohner des Mongolenvolkes verkaufen. Wie sich ein Nomade mit einem Monatseinkommen von 40 Dollar ein Appartement für 600 Dollar je Quadratmeter leisten kann, verschweigt er noch. Für den Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation Glasnost Defense Foundation, Alexej Simonow, ist klar: „Der Präsidentenfonds von Kirsan Iljumschinow wird von Spenden der in der kalmückischen Freihandelszone beheimateten Firmen gespeist. Diese erhalten dafür Steuerfreiheit. Wer an der Schach-Olympiade teilnimmt, billigt diese Ungerechtigkeit.“
Auch die Ermordung der Journalistin Larissa Judina zerrte Kalmückien in schlechtes Licht. Iljumschinow, der gern von der sinkenden Kriminalitätsrate in seinem Staat berichtet, muß sich gefallen lassen, daß zwei seiner Schergen der Tat unweit der Schachstadt verdächtigt werden. Judina schrieb für die einzige oppositionelle Tageszeitung, die außer Landes erscheint. An ein Mordkomplott des generösen Fide-Präsidenten glauben indes in Schachkreisen die wenigsten. Vielmehr folgt man der Logik des US- Großmeisters Alex Schabalow. „Iljumschinow ist kein Vollidiot! Als starker Schachspieler kann er ein paar Züge vorausrechnen. Dieses Verbrechen bringt ihm mehr Ärger ein, als ihm eine lebende Larissa Judina je hätte bereiten können.“ So verkündete bisher lediglich der Australier Ian Rogers als einziger namhafter Großmeister sein Fernbleiben.
In seiner Autobiographie „Die Dornenkrone des Präsidenten“ – der Titel erinnert an Jesus Christus, passend ähnelt das Wappentier des Verlags Vagrius einem Palmesel – verkündet Millionär Iljumschinow: „Ich selbst brauche nichts zum Leben. Ich will nur ein ökonomisch starkes Kalmückien. Wenn einer das besser kann, mache ich sofort Platz für ihn.“ Ein Angebot, von dem in seiner Heimat wie in der Fide anscheinend zunehmend mehr Menschen gerne Gebrauch machen würden. Hartmut Metz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen