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■ Predigten, hilfreich wie ein TumorHalleluja!

In letzter Zeit hatte ich so viele tolle Priester kennengelernt – bei den Jesuiten, in Bischofferode und unter den DDR-Industriepfarrern, daß ich mir, erstmalig in meinem Leben, einige Weihnachtspredigten antun wollte. Wir fingen in Dahlem an und arbeiteten uns im Laufe des 24. über Kreuzberg und Tempelhof bis zur Christusgemeinde in Oberschweineöde durch.

Sicher, unsere protestantischen PastorInnen haben mittlerweile fast alle die „Solidarität“ mit Drittwelt-Befreiungs-Geschichten drauf, vergessen auch nicht die Obdach- und die Arbeitslosen und geißeln wie Kohl den „Selbstverwirklichungskult“, aber – Herrgott noch mal – das wissen ihre Schäfchen alle doch mindestens, wenn nicht noch besser. Und dann verknüpfen sie diese Banalitäten auch noch mit den unverschämtesten Hinweisen auf Gott den Allmächtigen und Jesus liebt dich: Dagegen sind die abgefeimtesten Stalin- Hymnen geradezu eine antiautoritäre Frohbotschaft!

Als jemand, der „Glaube“ und „Gott“ für Resultate regressiver Entsublimierung hält und „Friedensgebete“ geradezu für Teufelswerk, konnte ich dennoch nachvollziehen, daß beispielsweise der Pfarrer in Oberschöneweide posaunte: „Von Christus ging eine Signalwirkung aus!“ – Aber was ist das für eine opportunistische Scheißsprache, und das am Heiligabend, und dann noch mit dem demagogischen Pathos eines bärtigen Revolutionärs mit sicherer Rente? Wenig später kam Unruhe im Publikum auf – als er sagte: In der Regierung sähe er nur „Armleuchter“ sitzen... Wenn das in Kirchenkreisen schon als mutig gilt, dann will ich sofort meine Kirchensteuer wiederhaben. Überhaupt die Spenden: Diese vier albernen Gottesdienste (was für ein schreckliches Wort!) waren teurer als ein Kreuzzug durch Sankt Pauli!

In der Christusgemeinde wurde erst die Kollekte durchgereicht, aber nicht locker wie in der U-Bahn, sondern mit Gebezwang, dann wurde noch für „Brot für die Welt“ Geld eingefordert und dann noch für die Renovierung der Kirche, deren Heizung gerade kaputtgegangen war.

Und diese ganzen Spenden waren ungefähr so freiwillig wie ein FDJ-Ernteeinsatz, der aber immerhin noch lustig, zotig und kommunikativ war. Wie überhaupt das Fürchterliche am Realsozialismus wahrscheinlich nicht sein Atheismus, sondern im Gegenteil sein christlicher Kern war: Der Gulag machte wieder Ernst mit der Theologie, die seit der Aufklärung bloß noch behauptete – wie auch mehrere Pfarrer am Heiligabend – „Es steht alles schon drin in der Bibel, man muß nur nachlesen, alle Antworten auf unsere Probleme wurden uns vor 2000 Jahren schon gegeben.“

Zum Glück sind die Gemeinden, wenigstens im Osten, wo der Infantilkapitalismus noch nicht 40 Jahre lang gewütet hat, ungefähr so „gläubig“ wie eine ausgenommene Weihnachtsgans. Die meisten gehen sowieso nur noch Heiligabend in die Nähe einer Kirchenorgel, kauen gepeinigt ein Kaugummi, verschränken beim Zwangsbeten die Hände hinterm Rücken und lassen ansonsten die ganze geölte Veranstaltung wie Kühe ein Gewitter über sich ergehen. Grad mal, daß sie beim Hinausgehen irgendwelche solistischen Gesangseinlagen anerkennend quittieren.

Nein, so geht das nicht weiter! Vergeßt diesen albernen Bibel- Quatsch, Gott und Jesus und all den Kinderkram für Wiedereinrichter (Bauern-Verblödung), reißt die häßlichen kalten Kirchen ein, verkauft die Immobilien und gründet überall mit dem Geld Klöster: als Herbergen für Arbeits- und Wohnungsfreie!

Man muß da wirklich die „Armleuchter“ in Bonn vor diesen linken PastorInnen in Schutz nehmen: Kohl und Konsorten würden es nie wagen, schon gar nicht verbal, uns derart unumwunden in das finsterste Glaubensjoch zwingen zu wollen.

Der nette „Seelsorger“ von nebenan, das ist niemand anderes als Mielkes älterer großer Bruder: „Ubi Lenin ibi Jerusalem“, wie Ernst Bloch so dumpf-hellsichtig schwadronierte. Gegenüber diesem ganzen Christmas-Muff würde ich allerdings Lenin und Mielke jederzeit in Schutz nehmen wollen: Im Vergleich zur Frohbotschaft vor Ort haben sie die Machtfrage doch geradezu spielerisch gestaltet! Helmut Höge

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