piwik no script img

Post aus der Moderne: 16. Messidor

Paris, 5ter Julius 1794 (Brief Charlotte Robespierres an den Bruder) - Ihre Abneigung gegen mich, mein Bruder, weit entfernt, sich zu verringern, wie ich mir geschmeichelt hatte, ist dermaßen zum unversöhnlichsten Haß geworden, daß mein Anblick allein Ihnen schon Grauen einflößt; ich darf auch nicht hoffen, daß Sie je ruhig genug sind, mich anzuhören, ich will also versuchen, Ihnen zu schreiben.

Von dem Gesicht meines Schmerzes erdrückt, unfähig, meine Gedanken zusammenzuhalten, werde ich nicht versuchen, mich zu verteidigen. Es wäre mir indessen so

leicht, zu zeigen, daß ich nie, in keiner Weise verdient habe, diese Wut zu erregen, von der Sie verblendet sind, aber ich überlasse meine Rechtfertigung der Zeit, die alle Perfidien, alle Anschwärzungen enthüllt. Wenn dann die Binde, die auf Ihren Augen liegt, zerrissen ist, wenn Sie in der Wirrnis Ihrer Leidenschaften die Stimme der Reue hören können, wenn der Schrei der Natur durchdringen kann und Sie von einem Irrum zurückkommen, der mir so zum Unheil gereicht, fürchten Sie dann nicht, daß ich Ihnen vorwerfe, daß Sie ihn solange gehegt haben:

Es ist also für Ihre Ruhe nötig, daß ich fern von Ihnen bin, es ist sogar, sagt man, für die Sache des Gemeinwohls nötig, daß ich nicht in Paris lebe! - Ich weiß noch nicht, was ich tun soll, aber das Dringlichste scheint mir, Sie des Anblickes eines verhaßten Gegenstandes zu entledigen; also können Sie schon morgen in Ihre Wohnung zurückkehren, ohne zu fürchten, mich da zu treffen. Ich werde schon heute gehen, wenn Sie nicht ausdrücklich dagegen sind.

Sie können sich denken, daß ich, indem ich Ihre Wohnung verlasse, alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen ergreife, um meine Brüder nicht zu kompromittieren. Die Stadtgegend, in der die Bürgerin Laporte wohnt, wohin ich mich vorläufig zurückzuziehen gedenke, ist in der ganzen Republik der Ort, wo ich am leichtesten in völliger Verborgenheit leben kann. 16.MESSIDOR

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen