■ Portugiesische Stierkampfverhinderung verhindert: Notfalls auch unter spanischer Flagge
Madrid (taz) – „Tötet ihn, tötet ihn“ schrie die Menge. Und der Mann im enganliegenden glitzernden Anzug erhob den Degen und stach zu. Zwischen den Schulterblättern getroffen, taumelte das Tier noch kurz und brach dann zusammen. Die nervöse Stimmung auf den Rängen der improvisierten Stierkampfarena löste sich in begeistertem Beifall. Lange Gesichter bei den Polizisten der Republikanischen Nationalgarden, die die Praça da Libertade (Platz der Freiheit) im südportugiesischen Barranco umstellt hatten. Es war Samstag abend, 18.35 Uhr.
Einmal mehr hatten die Ordnungshüter die Chronik des angekündigten Todes nicht verhindern können. Weitere Stiere sollte am vergangenen Wochenende das gleiche Schicksal ereilen. Und das, obwohl ein Gericht in der Hauptstadt Lissabon auf Antrag des Tierschutzverbandes vor zwei Wochen beschieden hatte, das seit 70 Jahren gültige Verbot des blutigen Stierkampfes durchzusetzen.
„Ohne Stierkampf kein Fest“, beschwerten sich die Bewohner des 3.300-Seelen-Dorfes an der portugiesisch-spanischen Grenze, wo seit dem 16. Jahrhundert zu Ehren der Dorfpatronin Toreros ihr Geschick beweisen. Selbst als 1928 ein Dekret den Stierkampf mit tödlichem Ende endgültig untersagte, beeindruckte das die Menschen in Barranco wenig. „Im Notfall werden wir die spanische Fahne hissen“, erinnerte ein Gemeindesprecher an ein damals abgelegtes Versprechen, eher zum einstigen Erzfeind überzuwechseln, als auf die Tradition zu verzichten. Im weit entfernten Lissabon drückten die Regierenden beide Auge zu. Und in Barronco, erst seit Ende der 60er durch eine Landstraße ans restliche Land angeschlossen, ging alles seinen Gang. Bis in den letzten Jahren die Tierschützer anfingen, Front gegen „die Tierquälerei aus reiner Vergnügungssucht“ zu machen.
Trotz der harschen Kritik kamen am Wochenende 20.000 Menschen zusammen, um der Heiligen Mutter Maria – wie im benachbarten Spanien üblich – das traditionelle Stieropfer darzubringen. Dorfpfarrer Pater Agostinho erinnerte die staatlichen Stellen an die rebellische Tradition der Bauern im südportugiesischen Alentejo und sagte im Falle eines Eingreifens der Polizei „einen Volksaufstand mit nicht vorhersehbaren Folgen“ voraus. Die hauptstädtische Tageszeitung O Publico widmete am Samstag dem kleinen Dorf fünf Sonderseiten. Das Konkurrenzblatt Diario de Noticias titelte „Spannung und Nervosität in Barranco“, und die Wochenzeitung Expresso befürchtete gar, „daß der kleinste Funke genügt“, um Rebellion zu provozieren.
Doch soweit sollte es nicht kommen. Der örtliche Polizeichef Santos Alves hatte bereits nachmittags angesichts der unzähligen angereisten Stierkampfbegeisterten resigniert: „Wir dürfen keinerlei Risiko eingehen“, begründete er den Befehl an seine Beamten, auf keinen Fall die Arena zu betreten. Sie sollten sich darauf beschränken, die Toreros im nachhinein festzunehmen oder zumindest ihre Identität festzustellen, um sie später zur Rechenschaft zu ziehen. Vergebens. Die Menge schützte die eigens aus Spanien und Lateinamerika angereisten Stierkämpfer. Ihre Namen waren das bestgehütete Geheimnis des Wochenendes.
„Das Volk ist stärker“, stimmte Diaro de Noticias in die Begeisterung der Barranquenhos angesichts ihres Triumphes über Gesetz und Obrigkeit ein. „Die Auflösung der gewohnten Ordnung im Tumult ist das Kernstück der Fiesta“, schreibt Karl Braun in seinem kürzlich erschienen Buch „Der Tod des Stiers“. Der Tod des Stieres „stellt diese in sich erneuert wieder her“ – als hätte der deutsche Stierkampfexperte diese Sätze auf den kleinen Ort im Alentejo zugeschrieben. Reiner Wandler
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