Portugal, glücklicher Europameister? Von wegen. Das Land ist der große Verlierer: José Manuel Barroso, Prototyp des modernen Politikers
Zu Hause bei Fremden
von Miguel Szymanski
Moderne Politiker habe einiges mit Fußballern gemeinsam. Aber während ein Ronaldo sich sichtlich freut, das Landestrikot anzuziehen, freuen sich moderne Toppolitiker am meisten, wenn sie es los sind. Dann können sie anfangen, für das, was sie in ihrer Laufbahn geleistet haben, auf dem Finanzparkett zu kassieren.
Über Ronaldo schreibt diese Woche jeder – allein in Portugal gibt es trotz schwerer Krise immer noch vier Fußballzeitungen. Ein anderer Portugiese verkörperte letzte Woche am besten die portugiesische Redewendung, nach der nur ein Job lukrativer sei als der des Fußballers – der des alternden Politikers.
José Manuel Barroso, ehemaliger portugiesischer EU-Kommissionspräsident, Premier- und Außenminister, wird eineinhalb Jahre nach dem Topjob in der Europäischen Union Vorsitzender der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs in London. Auf höchstem oder auf niedrigstem Niveau, je nach Perspektive, zeigt sich so, wie die Finanzmacht die Politik gestaltet. Vor dem EU-Kommissionspräsidenten wurde dieses Jahr auch die ehemalige portugiesische Finanzministerin Topberaterin eines amerikanischen Finanzunternehmens, das mit Staatsschulden spekuliert. Sechs andere Exminister vergolden derzeit ihre Zeit nach der Politik bei Banken und Finanzfirmen.
Die Populismen in Europa sind nicht die Ursache für die Krise des europäischen Projekts, sondern eine der Auswirkungen der langsamen Übernahme der Demokratie durch die Finanzwelt. Der Turbokapitalismus, nicht die populistischen Strömungen, höhlt die Demokratien aus. Portugal ist in dieser Entwicklung der erste Verlierer, weil Politiker seit Jahrzehnten ganz zwanglos das vorleben, was in Deutschland erst in den letzten Jahren salonfähig wurde.
Nicht Deutschland oder Frankreich haben die Europameisterschaft verloren. Der erste Verlierer ist Portugal. Der neue Staatspräsident Portugals, bekannt für seinen subtilen Humor, sagte zum Wechsel Barrosos an die Spitze von Goldman Sachs, es sei „der Höhepunkt seiner Karriere als Unternehmer“. Barroso ist ein Prototyp des modernen, vormals linken Politikers, der erst zu irgendeinem „dritten Weg“ oder einer modernen „Agenda“ und dann zur Geldmacht pur konvertiert. Man denke an Blair, Schröder und viele andere.
Deswegen ist Barroso eine Fallstudie: Mitte der 1990er, als er seinen Job als Außenminister verlor, ging er an die Uni in Washington. Den Aufenthalt finanzierte eine Stiftung, die von dem Geld lebt, das die USA für die Benutzung des Militärstützpunkts auf den Azoren bezahlt. Auf den Azoren war Barroso auch 2003 als Gastgeber von George W. Bush und Tony Blair und fungierte als Protokollchef der „Koalition der Willigen“ für den Irakkrieg.
Ein Jahr später unterbrach er seine Amtszeit als Regierungschef und hinterließ in Portugal Chaos, um EU-Kommissionspräsident zu werden. Er ist ein Politiker, der als Gast brasilianischer Milliardäre seinen Urlaub verbringt oder auf der Hochzeit der Tochter eines afrikanischen Kleptokraten tanzt. Jetzt ist er ein Aushängeschild von Goldman Sachs, ein Armutszeugnis für die EU und eine Inspiration für Nachwuchspolitiker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen