Porträt: Der unsichtbare Popstar
Seit 28 Jahren spricht Oliver Rohrbeck die Rolle des Justus Jonas in der Hörspielreihe "Die drei Fragezeichen". Ein Studiobesuch.
Die Situation ist oft ähnlich: In einem verborgenen Winkel des Schrottplatzes steht der alte Wohnwagen, der als Zentrale der "Drei Fragezeichen" dient. Im Hintergrund rattert eine Kreissäge, der Papagei krächzt, da klingelt plötzlich das Telefon. "Detektivbüro die 'Drei Fragezeichen', Justus Jonas am Apparat." Diesen Satz spricht Oliver Rohrbeck seit 28 Jahren - und ist damit zu einem unsichtbaren Popstar geworden. Kinder und Erwachsene kennen und schätzen den Hörspielsprecher gleichermaßen. Sie lieben seine CDs, sie schicken ihm Fanpost und Autogrammwünsche.
Aber kaum jemand weiß, wie Rohrbeck aussieht. Für sie ist er einfach nur der 16-jährige Justus Jonas aus Rocky Beach; der pummelige und etwas überhebliche Chefdetektiv der Kult-Hörspielserie; der Gründer des berühmten Detektivbüros, der mit seinem Kombinationsverstand und logischem Denken jeden Bösewicht überführt. Gemeinsam mit Bob Andrews (Andreas Fröhlich) und Peter Shaw (Jens Wawrczeck) löst er selbst die schwierigsten Kriminalfälle. Millionen von "Kassettenkindern" sind mit ihren Geschichten groß geworden.
Dass Rohrbeck noch so bekannt ist, erstaunt auf den ersten Blick. Mitte der 90er-Jahre hatten viele das Hörspiel-Genre bereits für tot erklärt. Dass sich Hörspiele und -bücher seit Anfang des neuen Jahrhunderts wieder größter Beliebtheit erfreuen und die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen, hat nicht nur die Produzenten überrascht, sondern auch Rohrbeck selbst. Er ist ein echter Pionier des Genres und seit seiner Kindheit dabei.
"Hallo, ich bin Oliver", sagt der 42-jährige Mann mit Glatze, Hornbrille und weißem Kragenhemd. Im echten Leben hat Oliver Rohrbeck mit dem Detektiv wenig Gemeinsamkeiten. Wenn Rohrbeck redet, klingt er kaum nach dem jugendlichen Schlaumeier mit seiner jungen, hellen Kinderstimme. Die Stimme des Sprechers ist in Wirklichkeit viel tiefer und sanfter. Auch ist er weder dick, noch hat er die besserwisserische Art des Chefdetektivs. "Justus Jonas will bestimmt nicht so sein wie ich. Damit würde er nicht klarkommen, und ich würde wohl auch mit ihm nicht zurechtkommen. Wir verstehen uns aber ganz gut."
Nach einer kurzen Studioführung geht zeigt Oliver Rohrbeck sein helles Büro im vierten Stock eines Kreuzberger Hinterhofs. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt eine ganze Sammlung von goldenen und silbernen Schallplatten. Dass er vor allem durch seine Sprecherrolle als Justus Jonas bekannt geworden ist, obwohl die "Drei Fragezeichen" nur einen kleinen Teil seiner Arbeit ausmachen, stört ihn nicht. Lässig sitzt er mit einer Flasche Trendlimonade in der Hand auf dem Sofa und erzählt, wie alles angefangen hat.
"Ich glaube, dass Buch und Wort ein ungeheures Fantasiepotenzial haben. Anders als beim Film sieht die Geschichte bei jedem im Kopf anders aus", sagt Rohrbeck. Ruhig und klar klingt seine Stimme dabei. Man lauscht ihr gerne, wenn sie Geschichten erzählt.
"Ein bisschen hintergründig, pfiffig, schlau und besonders gut wieder erkennbar", beschreibt Heikedine Körting seine Stimme. Sie ist die Produzentin sämtlicher "Drei Fragezeichen"-Hörspiele und kennt Oliver Rohrbeck seit 35 Jahren. "Man merkt in jedem seiner Worte etwas Listiges und Kluges." Genau das ist es, was die Rolle des Justus Jonas ausmacht.
Gerade sieben Jahre alt war der Hörspiel-Junge, als seine Karriere begann. 1965 in Westberlin geboren, hatte er seinen ersten Fernsehauftritt 1972 in der "Sesamstraße". Von Anfang an fördern die Eltern sein Schauspieltalent und das seiner älteren Schwester. Obwohl er noch gar nicht lesen kann, synchronisiert Oliver ausländische Film- und Fernsehproduktionen, spricht Hörspiele und steht für Kinderfilme vor der Kamera.
Heikedine Körting sieht ihn schließlich in einer Kinderfernsehshow und lädt ihn für Hörspielaufnahmen ein - erst für Märchengeschichten, dann für die "Fünf Freunde"-Serie. "Als ich das Skript für die 'Drei Fragezeichen' in die Hände bekam, war für mich sofort klar: Oliver muss den Chef der drei Jungs spielen", erzählt sie. Am 12. Oktober 1979 erscheint das erste "Drei Fragezeichen"-Hörspiel.
Das ändert Rohrbecks Leben: Während seine Klassenkameraden am Wochenende Fußball spielen, fliegt Rohrbeck nach Hamburg, um für "Hui Buh das Schlossgespenst", "Die Fünf Freunde" oder die "Drei Fragezeichen" vor dem Mikrofon zu stehen. "Ich habe ihn immer am Flughafen abgeholt", erinnert sich Körting, "als kleiner Junge noch mit Prinz-Eisenherz-Frisur und später als jugendlicher Punker mit Irokesenschnitt". "Das war für mich schon richtig cool, mit 13 allein nach Hamburg zu fliegen, um die Texte einzusprechen", sagt Rohrbeck. Ob die "Drei Fragezeichen" erfolgreich werden würden oder nicht, habe ihn in dem Alter überhaupt nicht interessiert.
In der elften Klasse bricht er die Schule ab, um zur Schauspielschule zu wechseln. Bereits zu diesem Zeitpunkt kann er sich allein durch das Synchronsprechen selbst finanzieren. Nach seinem Schauspielabschluss spielt Rohrbeck noch einige Jahre in Berlin Theater, zieht sich von der Schauspielerei aber bald zurück. "Für mich war das Schauspielen nicht wirklich befriedigend. Ich wollte mich lieber selbst hinter die Kulissen begeben und mehr Verantwortung übernehmen", sagt er.
Ab 1993 konzentriert sich Rohrbeck auf Synchronregie und das eigene Synchronsprechen. Nebenbei wird viermal im Jahr eine neue "Drei Fragezeichen"-Folge produziert. Seit 2003 ist er Besitzer eines Tonstudios sowie einer Plattenfirma, die sich auf Hörspiele und Hörbücher spezialisiert hat. Unter dem Namen "Lauscherlounge" veröffentlicht er Hörspiele und veranstaltet Lesungen mit anderen Synchron- und Hörspielsprechern. Nebenbei arbeitet Rohrbeck weiterhin als Synchronregisseur für große Filmproduktionen: Er ist unter anderem die Synchronstimme von Hollywoodstar Ben Stiller.
Auch beim ersten "Drei Fragezeichen"-Spielfilm, der an diesem Donnerstag in die Kinos kommt, hat er Synchronregie geführt. Die vielen "Drei Fragezeichen"-Fans, die Sorge haben, dass der Film nicht hält, was er verspricht, beruhigt er. "Ich habe den Film ja schon vorab gesehen und muss sagen, dass er so spannend war, dass ich mich richtig gegruselt habe."
Bis heute bleibt seine bekannteste Rolle die des Justus Jonas. Weit über 100 "Drei Fragezeichen"-Folgen sind erschienen. Mit rund 30 Millionen verkauften Tonträgern sind die "Drei Fragezeichen" das erfolgreichste Hörspiel der letzten Jahrzehnte.
Doch wie schafft man es mit 42 Jahren immer noch, die Stimme eines 16-Jährigen zu imitieren? "Ich versuche gar nicht, die Stimme zu verstellen, sondern einfach eine Rolle zu spielen", erklärt Rohrbeck. "Ich versetze mich in die Lage eines Jugendlichen, der die Welt noch mit ganz anderen Augen sieht. Dann klingt die Stimme automatisch ganz anders." Wie auf ein Stichwort ändert sich in diesem Moment seine Tonlage. Schon spielt der Stimmakrobat die Rolle des Junior-Detektivs. "Los, los, Kollegen, da müssen wir hinterher", spricht er mit der "echten" Justus-Jonas-Stimme und grinst.
Das Geheimnis von Oliver Rohrbecks Stimme ist, "dass man sie seit 30 Jahren kennt", sagt die Produktmanagerin der "Drei Fragezeichen"-Serie, Corinna Wodrich. Und darin liegt offensichtlich auch das Geheimnis des Erfolgs der "Drei Fragezeichen": die Vertrautheit mit den Stimmen der drei Sprecher. Eine ganze Generation von Kindern, die mit den Hörspielen aufgewachsen sind, entdeckt die Serie jetzt wieder. Die meisten Käufer des Kinderhörspiels sind inzwischen Erwachsene. Umso mehr ärgert es Rohrbeck, dass zurzeit keine neuen Folgen erscheinen, aufgrund von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Buchverlag Kosmos und dem Hörspielverlag Europa.
Ob es neben Hörspielen und Synchronsprechen noch andere Dinge in seinem Leben gibt? "Natürlich", sagt der Vater von zwei Töchtern, die auch gerne Hörspiele hören. Zeit für seine Familie habe er zum Glück noch genug. "Außerdem habe ich eine Dauerkarte für Hertha BSC", sagt Rohrbeck und lacht. Das fände Justus Jonas auch gut. Der verabscheut zwar jede Form körperlicher Anstrengung, anderen dabei zuzuschauen, gefällt ihm aber immer.
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