Porträt: Ehrlicher Eigenbrötler
■ Große Taten werden von Collors Nachfolger, dem bisheri- gen Vizepräsidenten Itamar Franco (62), nicht erwartet
Ehrlich, unscheinbar, aber cholerisch. Brasiliens künftiges Staatsoberhaupt Itamar Franco ist das genaue Gegenteil seines Chefs Fernando Collor de Mello. Bis vor kurzem schienen Itamar Franco und Fernando Collor noch ein ideales Gespann abzugeben. Während der junge Präsident jedes Wochenende fleißig vor den Fernsehkameras joggte, Jet-Ski betrieb oder im Militärflugzeug die Schallgrenze durchbrach, beschränkte sich Itamar auf bescheidene Spaziergänge. Der 62jährige introvertierte Elektrotechnik-Ingenieur verabscheut jegliche Art von Rummel. Erfolgreiches Marketing und wirkungsvolle öffentliche Auftritte, Collors Spezialität, sind für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.
Die zunehmenden politischen Divergenzen und der Korruptionsskandal, in den Collor verwickelt ist, zwangen Itamar Franco dazu, aus seinem Schattendasein herauszutreten; die rezessive Wirtschaftspolitik und das Privatisierungsprogramm mißfielen dem Vize.
Zum ersten Mal gerieten Itamar und Collor im Herbst 1991 aneinander. Itamar protestierte lautstark gegen die Privatisierung der staatlichen Stahlschmiede „Usiminas“. Seine Kritik galt in erster Linie der Zulassung von Titeln der brasilianischen Auslandsschuld — die zu einem Drittel ihres ursprünglichen Wertes gehandelt werden — als Zahlungsmittel. Zum endgültigen Bruch kam es durch eben diese rezessive Wirtschaftspolitik im Namen der Inflationsbekämpfung und die letzte Umbesetzung von Collors Ministerriege im vergangenen März. „Die Opfer, die der Bevölkerung abverlangt wurden, waren unnötig“, erklärte Itamar und trat aus Protest aus Collors Partei PRN aus.
Eine jüngst vom brasilianischen Unternehmerverband in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Über Itamar Franco und die Orientierung seiner eventuellen Regierung“ schließt trotz Itamars Äußerungen einen radikalen Kurswechsel der bisherigen Wirtschaftspolitik aus. Die Politik der Marktöffnung und Privatisierung würden fortgesetzt, allerdings mit veränderten Spielregeln. Die Studie beschreibt Itamar als „ehrlichen Mann, der vehement für seine Überzeugungen eintritt und kein Interesse an persönlichem Reichtum zeigt“.
Für Itamar Franco wäre die Nachfolge von Präsident Collor ein enormer Karrieresprung. Bis jetzt beschränken sich die politischen Erfahrungen des Vizepräsidenten auf zwei Mandate als Bürgermeister in seiner Heimatstadt Juiz de Fora im brasilianischen Bundesland Minas Gerais und eine Legislaturperiode im brasilianischen Senat; Itamar kandidierte stets für die einzige während der brasilianischen Militärregierung (1964-1985) zugelassene Oppositionspartei MDB.
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