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Porno reimt sich auf Adorno

■ Georgette Dee am Goetheplatz: Fans aus der ganzen Familie

Das Chanson kommt wieder schwer in Mode. An der Speerspitze des Revivals stehen diesmal nicht Frauen, die in ihren Liedern Männern hinterherschmachten, sondern Männer, die in ihren Liedern Männern hinterherschmachten. Trotzdem konnte von schwuler Subkultur keine Rede sein, als Diseuse Georgette Dee, eigentlich ein Diseur in Damengarderobe, am Freitagabend im Theater am Goetheplatz zum Chanson-Abend eingeladen hatte.

Bunt gemischt war das Publikum, das sich in den Fluren drängelte: Mütter mit Töchtern, reifere Herren mit Halbglatze und Pferdeschwanz, frisch gepiercte Teenager, komplette Familien, ein paar Ledermänner und viele betont schöne Sekttrinkerlnnen, die alle naselang ein neues Begrüßungsbussi auf der Wange kleben hatten. So unterschiedlich das Publikum, so unterschiedlich die Vorbildung über das Bevorstehende. Während die hartgesottenen Fans bereits ,,zu Hause nochmal alle CDs zur Einstimmung“ gehört hatten, waren andere nur durch einen flüchtigen Fernsehauftritt aufmerk- sam geworden. Tatsächlich hatte Georgette Dee es kürzlich geschafft, sogar als Talkgast von Karl Dall ein Quäntchen Würde zu bewahren.

Frenetisch umjubelt bevor sie auch nur ein Tönchen von sich gegeben hatte, bot Georgette in Bremen eine erfrischend lockere Mischung aus Gesangsdarbietungen und Kabarett mit losem roten Faden. Die kleinen Geschichtchen von den Pubertätsproblemen ihrer Nichte und den Eheproblemen ihrer Freundin, vom Tod, der ständig irgendwie um uns herumlungert, oder vom bekifften Amor, der wild um sich schießt und nur um ein Haar die Kaffeekanne verfehlt hat, wurden erst richtig lustig, wenn die Künstlerin vom Thema abkam und sich um Kopf und Kragen philosophierte. Daß zwischendurch auch noch gesungen wurde, mußte man bei einem Liederabend wohl in Kauf nehmen. War auch nicht schlimm, denn die Chansons begaben sich wohltuend selten in jene melodramatischen, verkitschten Weltliebesschmerzniederungen, die diesem Genre oft den Anstrichdes Antiquierten verleihen. Dafür sorgten nicht nur die Texte, in denen sich ,,Robert“ auf ,,erobert“ und ,,Porno“ auf ,,Adorno“ reimte, sondern ebenfalls das beeindruckende Spiel des Pianisten Terry Truck. Virtuos unterstrich er mit wenigen Handgriffen mal ironisierend, mal dramatisierend das Gesungene. Nur wenn die beiden allzu leise, getragene Töne anstimmten, verloren sie sich in dem klebrigen Pathos, dem sie ansonsten souverän aus dem Wege zu gehen wußten.

Ungebetenes Pathos hin, gebetene Komik her – den Leuten gefiel es. Die standing ovations blieben zwar im gut gemeinten Ansatz stecken, und die Ausbeute von nur einem Blumenstrauß war für die Verhältnisse der Diva wohl eher mager, aber Wunder darf man vom Bremer Publikum kaum erwarten. Dafür waren Applaus und Jubelrufe recht ausdauernd.

Nach der Vorstellung drängte sich vorm CD-Verkaufsstand lauter kaufbereite Kundschaft mit zufriedenen Gesichtern. Besonders die Improvisationskunst der Performerin wurde gelobt, und daß es ,,diesmal ganz anders als letztes Mal“ war. Eine Besucherin mittleren Alters gefiel vor allem, daß der Mann im Kleid den Frauen so glaubwürdig aus der Seele spräche. Und da wird immer behauptet, Männer verstünden nichts von Frauen.

Andreas Neuenkirchen

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