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Porno-Serie "Xanadu"Die Damen fisten dich

"Xanadu" ist die mutigste Serie, die bei Arte je angelaufen sein dürfte. Sie erzählt zu melancholischen Klängen, dass Sex als Geschäft uns trennt.

Lou (Mathilde Bisson) ist der zukünftige Pornostar von Xanadu. Bild: Arte / Benoit Linder

Im regulären US-Fernsehen gibt es bekanntlich keine männlichen Geschlechtsteile zu sehen, denn solches gilt als obszön. Stattdessen gibt es im US-Fernsehen durchaus mal zu sehen, wie der Held seinem Gegner mit der Machete den Bauch aufschlitzt, um sich anhand seines Gedärms aus dem Fenster des 3. Stocks abzuseilen. Solches gilt als witzig, vielleicht sogar als tarantinoesk.

Nun läuft auf Arte eine Serie an, in der ein riesiger Schwanz so lange so bildschirmfüllend herumhängt, dass man ihn zunächst gar nicht wahrzunehmen wagt. Das gilt als ehrlich. Zugleich gibt es Szenen, in denen etwa Verkehrsteilnehmer mit Kettensägen aufeinander losgehen, sodass Blut und Hirn nur so spritzen. Das gilt als surreal und wirkt bedrückend, nicht lustig. Willkommen bei "Xanadu", einer der mutigsten und spektakulärsten Serien, die je bei Arte gelaufen sein dürfte. Willkommen bei den Franzosen. Die trauen sich was.

"Xanadu" ist ein Familienbetrieb, ein ehemals florierendes Erotik-Unternehmen. Noch lebt man vom Ruhm vergangener Tage, vom Glanz der Achtzigerjahre und der eleganten Aura der unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommenen Hauptdarstellerin und Gattin des Seniorchefs. Das wäre das Krimi-Element, von dem ausgehend sich eine verwinkelte Familiengeschichte entrollt: Die Zeiten haben sich geändert, gediegene Pornos mit Drehbuch und Handlung sind aus der Mode, der Konzern wankt, doch der alte Chef, neu verheiratet mit einem Engel, tut sich schwer, das Ruder des sinkenden Schiffes an seinen ältesten Sohn zu übergeben.

Leicht wahnsinniger junger Bob Dylan

Der wird uns in all seiner Ohnmacht zunächst beim Onanieren vor dem Badezimmerspiegel vorgestellt, während seine Frau sich teilnahmslos auf dem Fitnessrad abstrampelt. Der jüngste Sohn dreht ebenfalls Pornos, allerdings für die "Off"-Szene und wirkt wie ein arroganter, leicht wahnsinniger junger Bob Dylan.

Überdies kehrt die verlorene, einigermaßen verhärmte Tochter nebst Nachwuchs nach zehn Jahren aus Kanada zurück und erhebt Anspruch auf die Firma - oder wenigstens ein wenig Unterstützung.

Auf den ersten Blick mag das alles an die schillernde Achterbahnfahrt von "Boogie Nights" erinnern, in dem Mark Wahlberg den langsamen Verfall und Abstieg eines Pornostars spielte. Für die Heiterkeit indes, mit der "Boogie Nights" sich im identischen Milieu bewegte, haben Séverine Bosschem (Drehbuch) und Daniel Grou (Regie) keinen Sinn. Die üblichen Rollen werden stets neu verteilt: Ein viriles Pheromonwunder und Pornostar soll eine "Fisting"-Szene spielen. Kein Problem, meint der. Nein, erklärt der Regisseur, die Damen fisten dich, ob das denn ein Problem sei? Es ist.

Schon im Pilotfilm türmen sich die Ereignisse mit der beklemmend sterilen Wucht von Gus Van Sants "Elephant" und bereiten das Tableau für die restlichen fünf Folgen. Beinahe alle Protagonisten sind auf ihre Weise gebrochen - und wenn sie es nicht sind, dann werden sie es noch. Sex bleibt kalt, blutig und tragisch. Als Geschäft muss er die Menschen trennen, anstatt sie zusammenzuführen.

Sehenswert und berührend, wie immer wieder die Phantasmorgien mancher Figuren überraschend als handelnde Charaktere ins Bild treten. Hörenswert die melancholischen Kadenzen, mit denen die deutsche Indie-Band "Get Well Soon" die düstere Spannung in Klänge kleidet. Beeindruckend, mit welchem Mut sich hier Arte - nach "Twin Peaks", den ungekürzten "Tudors" oder der "Serie in Schwarz" - den Staub aus den Klamotten klopft. Und sich als ebenso abenteuer- wie angriffslustiger Sender neu erfindet.

"Xanadu" - Immer Samstags zwei Folgen ab 22.45 Uhr, Arte, 1. Folge: 30.4.2011

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10 Kommentare

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  • MP
    Monty Python
  • TH
    Thorsten H.

    @ TutNichtsZurSache

     

    Die Kritik ist nicht begründet. Arte sendet Xanadu in französisch und in deutsch. Man muss nur seine Geräte bedienen können. In der Arte-Mediathek kann man auch zwischen Original und Deutsch wählen.

    Breaking Bad und The Prisoner wurden übrigens auf dem französischen Artekanal auch im Original ausgestrahlt. So wie neulich die ersten Staffeln von Mit Schirm, Charme und Melone in Erstausstrahlung.

    Und Xanadu ist von Arte nicht eingekauft, sondern selbst produziert.

  • L
    laberrhabarbar

    oh ja, echt mutig die serie. genau wie die überschrift dieser mutigen empfehlung. ich habe einen schlaffen schwanz in voller gänze gesehen, danach bin ich fast eingeschlafen, eine vergewaltigungsszene hat mich wieder geweckt. und alles, was ich denken konnte war: soetwas zu zeigen! mensch ist das mutig!

  • G
    Gregor

    @TutNichtsZur Sache

     

    Da gebe ich ihnen Recht. Mir persönlich würde Französich nicht viel bringen, aber ich wäre mit einem Untertitel zufrieden. Am besten per Text zuschaltbar, so dass es diejenigen, die die Sprache sprechen nicht stört.

     

    Wiklich gute Filme/Serien sind eine Kunstform. Das ist eine Binsenweisheit. Warum sollte man die Integrität dieses Gesamtkunstwerks durch eine schlechte Synchronisierung stören. Und ich kenne wenige wirklich gelungene Synchronisierungen.

     

    Bei älteren Filmen gibt es oftmals Ausnahmen. Meines Eindrucks nach dort, wo sich der Synchronreggiseur traut selber künstlerisch tätig zu werden. Mir fallen da die Monthy Python Filme als Beispiel ein.

  • H
    Hansi

    Ja, und wo läuft die Serie jetzt? Habe bei http://videos.arte.tv gesucht, bin aber nicht fündig geworden. Mußte das Programm wegen akuter JP2-Seligsprechung ausfallen?

  • E
    Efes

    Na endlich wird Fisting salonfähig, wurde auch Zeit, jetzt wo Benzin zu teuer wird!

  • SS
    Stephan Schmidt

    Passender Titel: Die Faust im Nackten.

  • TS
    TutNichtsZur Sache

    Klingt äußerst interessant aber es bleibt mal wieder die Frage, wieso arte diese Serie in der drübersynchronisierten Fassung sendet anstatt die Originalversion mit Untertiteln.

     

    Arte kauft zunehmend wirklich gute Serienformate ein (Breaking Bad, Xanadu, The Prisoner, etc.) aber solange man diese Perlen des TVs nur in einer kastrierten Version zu sehen bekommt werden ich (und viele andere) lieber die DVD-Box in der Videothek ausleihen oder sich die Folgen direkt (und gratis) aus dem Netz ziehen. Ich hätte mir z.B. "Breaking Bad" gerne sogar zum zweiten Mal bei arte angeschaut (Premiere in den USA bzw. im Internet war ja vor Jahren) aber wer jemals die OV gesehen hat, den ergreift angesichts steriler Synchronisation schlicht das Grauen.

     

    Fazit: Danke für die Anregung aber ansehen werde ich mir Xanadu wieder mal woanders. Schade.

  • G
    Griesgram

    "...wirkt wie ein arroganter, leicht wahnsinniger junger Bob Dylan."

     

    Talkin' 'bout Pleonasmus, baby...

  • A
    Alex

    Erst mal habe ich nicht ganz den interlektuellen Sinn dieser Ausführungen der Redaktion oben verstanden.

    Aber, dass Gewaltszenen heute als "normal" und nicht moralisch verwerflich und pornographische sexuelle Inhalte als Pfui angesehen werden, finde ich pervers. Aber hier wird halt verklemmte US- Mentalität und Christliche Verlogenheit zelebriert.

    Sogenannte Pornographische Filme gehören bestimmt nicht ins Vorabend- oder Abendprogramm. Aber im Spätprogramm und mit deutlichem Hinweis darauf, sollte so eine Ausstrahlung in unserer heutigen Zeit durchaus erlaubt sein. Man kann ja abschalten. Und Jugendliche und Kinder gehören sowieso um so eine Uhrzeit nicht vors´ Fernsehen. Hier sind die Eziehungsberechtigten gefragt. Man darf halt nicht vergessen wer für die "Genehmigung" der Freigabe durch diese FSK verantwortlich ist. In diesem Gremium sitzen verschrobene und christlich verlogene Gestalten die höchstwahrscheinlich eine total kaputte Psyche haben.

    Außerdem ist jedem der sich ein bisschen mit dem Internet auskennt der Zugang zu tausenden von Pornofilmen den ganzen Tag über ohne Registrierung und Bezahlung ganz einfach möglich. Dies wird wohl auch zu hauf in Anspruch genommen. Das das Fernsehen hier immer noch meint durch Verhinderung solcher Ausstrahlungen unsere Moral hochhalten zu können und zu müssen grenzt an Debilität.