Porno-Serie "Xanadu": Die Damen fisten dich
"Xanadu" ist die mutigste Serie, die bei Arte je angelaufen sein dürfte. Sie erzählt zu melancholischen Klängen, dass Sex als Geschäft uns trennt.
Im regulären US-Fernsehen gibt es bekanntlich keine männlichen Geschlechtsteile zu sehen, denn solches gilt als obszön. Stattdessen gibt es im US-Fernsehen durchaus mal zu sehen, wie der Held seinem Gegner mit der Machete den Bauch aufschlitzt, um sich anhand seines Gedärms aus dem Fenster des 3. Stocks abzuseilen. Solches gilt als witzig, vielleicht sogar als tarantinoesk.
Nun läuft auf Arte eine Serie an, in der ein riesiger Schwanz so lange so bildschirmfüllend herumhängt, dass man ihn zunächst gar nicht wahrzunehmen wagt. Das gilt als ehrlich. Zugleich gibt es Szenen, in denen etwa Verkehrsteilnehmer mit Kettensägen aufeinander losgehen, sodass Blut und Hirn nur so spritzen. Das gilt als surreal und wirkt bedrückend, nicht lustig. Willkommen bei "Xanadu", einer der mutigsten und spektakulärsten Serien, die je bei Arte gelaufen sein dürfte. Willkommen bei den Franzosen. Die trauen sich was.
"Xanadu" ist ein Familienbetrieb, ein ehemals florierendes Erotik-Unternehmen. Noch lebt man vom Ruhm vergangener Tage, vom Glanz der Achtzigerjahre und der eleganten Aura der unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommenen Hauptdarstellerin und Gattin des Seniorchefs. Das wäre das Krimi-Element, von dem ausgehend sich eine verwinkelte Familiengeschichte entrollt: Die Zeiten haben sich geändert, gediegene Pornos mit Drehbuch und Handlung sind aus der Mode, der Konzern wankt, doch der alte Chef, neu verheiratet mit einem Engel, tut sich schwer, das Ruder des sinkenden Schiffes an seinen ältesten Sohn zu übergeben.
Leicht wahnsinniger junger Bob Dylan
Der wird uns in all seiner Ohnmacht zunächst beim Onanieren vor dem Badezimmerspiegel vorgestellt, während seine Frau sich teilnahmslos auf dem Fitnessrad abstrampelt. Der jüngste Sohn dreht ebenfalls Pornos, allerdings für die "Off"-Szene und wirkt wie ein arroganter, leicht wahnsinniger junger Bob Dylan.
Überdies kehrt die verlorene, einigermaßen verhärmte Tochter nebst Nachwuchs nach zehn Jahren aus Kanada zurück und erhebt Anspruch auf die Firma - oder wenigstens ein wenig Unterstützung.
Auf den ersten Blick mag das alles an die schillernde Achterbahnfahrt von "Boogie Nights" erinnern, in dem Mark Wahlberg den langsamen Verfall und Abstieg eines Pornostars spielte. Für die Heiterkeit indes, mit der "Boogie Nights" sich im identischen Milieu bewegte, haben Séverine Bosschem (Drehbuch) und Daniel Grou (Regie) keinen Sinn. Die üblichen Rollen werden stets neu verteilt: Ein viriles Pheromonwunder und Pornostar soll eine "Fisting"-Szene spielen. Kein Problem, meint der. Nein, erklärt der Regisseur, die Damen fisten dich, ob das denn ein Problem sei? Es ist.
Schon im Pilotfilm türmen sich die Ereignisse mit der beklemmend sterilen Wucht von Gus Van Sants "Elephant" und bereiten das Tableau für die restlichen fünf Folgen. Beinahe alle Protagonisten sind auf ihre Weise gebrochen - und wenn sie es nicht sind, dann werden sie es noch. Sex bleibt kalt, blutig und tragisch. Als Geschäft muss er die Menschen trennen, anstatt sie zusammenzuführen.
Sehenswert und berührend, wie immer wieder die Phantasmorgien mancher Figuren überraschend als handelnde Charaktere ins Bild treten. Hörenswert die melancholischen Kadenzen, mit denen die deutsche Indie-Band "Get Well Soon" die düstere Spannung in Klänge kleidet. Beeindruckend, mit welchem Mut sich hier Arte - nach "Twin Peaks", den ungekürzten "Tudors" oder der "Serie in Schwarz" - den Staub aus den Klamotten klopft. Und sich als ebenso abenteuer- wie angriffslustiger Sender neu erfindet.
"Xanadu" - Immer Samstags zwei Folgen ab 22.45 Uhr, Arte, 1. Folge: 30.4.2011
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation