Poplabel Aufgeladen und Bereit: Deutsch-schottische Freundschaft
Fast unbeachtet entsteht auf der Achse Glasgow-Hamburg aufregende Popmusik. Der Name des Labels: Aufgeladen Und Bereit. Die Musiker: ein Tischler, ein Fahrlehrer, ein Postbote.
Sushil K. Dade wird vor rund 40 Jahren in Indien geboren und kommt als Kleinkind mit seinen Eltern nach Glasgow. Markus Wilhelms wird vor rund 40 Jahren in Emden in Ostfriesland geboren und geht mit 27 Jahren nach Hamburg. Heute arbeitet Sushil K. Dade als Fahrlehrer in Bearsden, einem Vorort von Glasgow. Markus Wilhelms arbeitet 40 Stunden die Woche als Tischler. In den Achtzigern und Neunzigern spielt Sushil K. Dade bei den Soup Dragons, BMX Bandits und Telstar Ponies. 1997 lehnt er das Angebot ab, in der Tourband von Kylie Minogue als Bassist zu arbeiten. Markus Wilhelms spielt von 1984-85 bei den Tit Bit Drops. "Die haben sich wegen mir aufgelöst, weil ich keine Gitarre spielen konnte. Keine Konzerte, nur ein paar Aufnahmen auf einem schrammeligen Kasettenrekorder."
1986, er ist gerade sechzehn, reist Markus zum ersten Mal nach Glasgow. Inspiriert vom Sound Of Young Scotland, gründet er das Fanzine Hedgehogs & Porcupines (Igel & Stachelschweine). Über das Fanzine lernt er Sushil K. Dade kennen. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Na ja, 22 Jahre später bringt der indische Schotte unter dem Namen Future Pilot A.K.A. Platten auf dem Label seines Hamburger Freundes Markus Wilhelms heraus.
Der Name des Labels - Aufgeladen Und Bereit - verdankt sich einer weiteren schottisch-deutschen Begegnung. 1981 geht die Band Fire Engines auf Deutschlandtournee, das heißt Köln, Hamburg, West-Berlin und München, geschätzte 41 zahlende Zuschauer. In der Bravo liest Sänger Davy Henderson einen Bericht über die Action- und Fun-Tournee der Rockabilly-Band Matchbox. Zurück in Schottland nehmen die Fire Engines ein neues Album auf: "Aufgeladen Und Bereit Fur Aktion und Spass" (ohne Umlaut und ß). Viel mehr als 41 Käufer findet es auch nicht. Einer davon ist Markus Wilhelms, unser Butenostfriese - so nennt man Ostfriesen im Exil, wie ich von Jan Möller gelernt habe.
Man muss ihre Namen nicht kennen, um zu ahnen, dass wir hier von zwei hartnäckigen Nerds und ihrer Affenliebe zum schottischen Pop reden. Dessen sagenumwobener Ruf basiert vor allem auf der Arbeit des Pop-Aficionados namens Alan Horne. Er gründet 1979 in Glasgow die Firma Postcard Records, um Platten der lokalen Bands Orange Juice und Josef K. unter die Leute zu bringen. Der Postcard-Firmen-Claim lautet: "The Sound Of Young Scotland". Das ist weniger nationalistisch motiviert als ein Liebesgruß nach Hitsville USA. Der Slogan des Soul-Labels Motown lautete: "The Sound Of Young America". Einer von tausend Motown-Hits, "I cant help myself" von den Four Tops, gesungen vom Helden-Bariton Levi Stubbs, der Ende Oktober verstorben ist. Einer von zwei Hits von Orange Juice: "(Just like The Four Tops) I cant help myself". Das ist Zitatpop aus dem Bilderbuch, weiße Jungs buchstabieren ihre postpubertären Selbstzweifel und ihr Unbehagen an der Rock-Männlichkeit nach dem Modell der viril auftrumpfenden Motown-Potenz-Vokalisten.
Ende der Siebziger ist Orange-Juice-Sänger Edwyn Collins einer von vielen ehemaligen Punks - männlich wie weiblich -, die sich für die Reize schwarzer Musikkulturen begeistern. Diese nachhaltige Prägung dürfte Collins gemeint haben, als er sich kürzlich an seine Anfänge erinnerte: "Damals haben junge Bands viel Reggae und Soul gehört. Das passiert heute kaum noch, und das ist traurig." So traurig wie das weiße Indiespießer-Elend, das der New Musical Express Woche für Woche als Rock-Revolution verkauft. Das sieht Markus Wilhelms ähnlich. "Heutige Bands orientieren sich fast nur an weißem Rock, an den Strokes oder Libertines oder an Velvet Underground und Stooges. Während damals Bands wie Orange Juice sich geöffnet haben für Dub und Disco. In der Postpunk-Zeit haben junge Musiker alles ausprobiert, A Certain Ratio haben den Funk entdeckt."
Wilhelms schwärmt von der Epoche der Öffnungen, der Entdeckung und Aneignung des jeweils großen Anderen. 1978-1984 war mehr als Postpunk, mehr als No Wave/New Wave, man kann es nachlesen in Simon Reynolds Chronik "Rip it up and start again". Den Titel hat er sich bei Orange Juice geliehen. Vom Spirit dieser Zeit sind unsere Protagonisten unhintergehbar geprägt. Wer einmal die Four Tops mit Orange Juice kurzgeschlossen hat, für den gibt es kein Zurück mehr in die schlichten Antagonismen des black or white. Die Negrophilie im Postpunk-Britannien hat eine Reihe von Hits hervorgebracht: ABC: "When Smokey sings", Spandau Ballet: "listening to Marvin all night long" ("True"), "Geno", die Hommage der Dexys Midnight Runners an den Soul-Shouter Geno Washington. Und ein ganzes Lied über die Tränen des Four-Tops-Sängers: "Levi Stubbs Tears" von Billy Bragg.
Aber zurück zu unserer deutsch-schottischen Freundschaft. Mit dem "Aufgeladen Und Bereit"-Label transportieren Sushil K. Dade und Markus Wilhelms den Scottish Pop-Spirit in die Gegenwart. Unter dem Namen Future Pilot A.K.A. produziert Dade seit einigen Jahren Musik, die in ihrer stilmixenden Unberechenbarkeit um Längen besser ist als seine früheren Bands. Das A.K.A. (also known as, alias) am Namensende teilt er mit den Specials, die sich in ihrer zweiten Inkarnation The Special A.K.A. nannten. Es spielt aber auch an auf die Alias-Haftigkeit der Musik, auf die Hybridität einer schottisch-indischen Biografie im postkolonialen Britannien, wo sich Bhangra, Dub, Jangle-Pop und Techno auf demselben Flohmarkt guten Tag sagen. Unter dem Alias-Dach des Zukunftspiloten versammeln sich so unschottische Typen wie Minimal-Papst Philipp Glass, Can-Sänger Damo Suzuki oder Thurston Moore (Sonic Youth).
Auf der "Aufgeladen Und Bereit"-Single Nummer 014 treibt Sushil K. Dades seinen Willen zur artfremden Paarung auf die Spitze. Auf der A-Seite singt Kim Fowley (King Of Hollywood Trash, Erfinder der Runaways) einen Song von Daniel Johnston (der geniale Irre mit dem Beatles-Tick), dazu spielt mit James Kirk ein alter Orange-Juice-Held Gitarre. Auf der B-Seite versucht sich Lisa Milne mit Concerto Caledonia an "Boredom", dem Punklangeweile-Klassiker der Buzzcocks. Im richtigen Leben erklingt der Sopran von Lisa Milne an der Semperoper oder der New Yorker Met. Den dritten Song singt Daniel Johnston gleich selbst. Das Ganze kommt in rotem Vinyl, jede Single bekommt eine eigene Farbe. Wer keinen Plattenspieler besitzt, sollte sich "Get While The Gettings Good" besorgen, "a lovely collection of music by 19 diverse Scottish artists, showing just how rich and vibrant the contemporary scottish music scene is". Behauptet Norman Blake von Teenage Fanclub.
Da hat er Recht: divers, reich und vibrierend. Den Titel "Get While The Gettings Good" hat Markus Wilhelms von einem Orange-Juice-Song. "Man soll es nehmen, wenn es da ist, keine große Vorbereitung, das Album war in zwei, drei Monaten fertig." Im Unterschied zu anderen Labels, die sich der Pflege schottischer Poptradition verschrieben haben, ist Aufgeladen Und Bereit kein Altersheim für ausgebrannte Postcard-Rentner. Die Musik ist so NOW! wie nur irgendwas, egal ob sie von alten Glasgow-Pop-Helden wie Davy Henderson (neue Band: Sexual Objects) kommt oder von No-Names wie Tibi Lubin oder Found.
Schon merkwürdig: da versucht ein Hamburger Tischler im Hobbymodus aufregende Musik aus Schottland zu verbreiten, und die Resonanz geht gen null. Ja, ans Aufhören hat Markus Wilhelms gedacht. "Als ganz viele Singles aus Großbritannien zurückgekommen sind, die nicht verkauft werden konnten. Aber dann kam das Konzert mit Vic Godard und es gab so viele positive Reaktionen, dass ich weitergemacht habe." Vic Godard, semilegendärer Sänger von Subway Sect und im Hauptberuf Postbote, ist neuerdings auch "Aufgeladen Und Bereit"-Artist. Dabei kommt er aus Bristol. Und das erste Band-Album auf Markus Wilhelms Label kommt von einer Band namens Say. Aus England. Es heißt "Multiverse". Guter Titel.
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