Pop und Terror: Leere Utopien
Hamburger Soundtrack
von Nils Schuhmacher
Nach „9/11“ hielt „Pop“ kurz die Schnauze. Bevor sich mit gebührendem Abstand an die Verarbeitung oder an das Business as usual gemacht wurde, herrschte wortwörtliche Funkstille: Zu diesem Zweck zirkulierten in den Radiostationen Listen mit inkriminierten Songs, Kunst und Kultur fungierten aber auch als Beruhigungsmittel und Trauerflor.
Der Betrieb war jedenfalls empfindlich gestört, obwohl man ja rein gar nichts mit den Geschehnissen zu tun zu haben meinte. Der französische „13. 11.“ hat dies nun gründlich geändert. Während das Attentat auf Charlie Hebdo noch als Anschlag auf „unsere“ lustige westliche Witzkultur einverleibt werden konnte, verliert sich diese Allgemeinheit (und Frechheit) angesichts des Massakers in einem Konzertsaal.
Jetzt kann niemand mehr sagen, dass Pop nicht betroffen ist. Und die Sache wird noch unheimlicher ja dadurch, dass das „Pop-Phänomen Islamismus“ so tut, als bräuchte es jenseits von Naschids gar keinen musikalischen Gegenentwurf innerhalb von „Popmusik“ (Diederichsen).
Ob das nun stimmt oder nicht: Die Antwort „des Pop“ ist diesmal jedenfalls eindeutig, in seiner Eindeutigkeit aber gleichzeitig doch auch weitgehend hilflos. Denn faktisch wird die mit diesem Terrorismus einhergehende vollkommene Entwertung all seiner liebgewonnenen Gesten und Posen von Revolte und Gewalt unter den Teppich gekehrt (bis man sie bei Gelegenheit wieder rauskramt). Stattdessen wird Rührseliges und Kleinteiliges (selbstkomponierte Lieder auf Youtube, Eiffelturm-Tattoo) zur Widerstandsgeste hochgejazzt und das Loblied der popkulturellen One-Family gesungen.
Nur: Ein eigener Gegenentwurf ist das nun gerade nicht. Und so darf man selbstverständlich in Reaktion auf die Geschehnisse „Imagine“ singen, man kann sich als Band auch Catastrophe & Cure nennen (siehe 3. 12., Prinzenbar). Es soll nur bitte niemand damit die Ansicht verbinden, dass das hegemoniale Popmodell der leeren Utopien tatsächlich mehr Teil der Heilung als der Katastrophe ist.
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