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Pop, komm raus ...Folge dem Stern!

■ Katholische Popkomm-Wallfahrt

Nun denken Sie nur, wer dieses Jahr auch auf der Popkomm gesehen ward: Gorbi! NRW- Minister Bodo Hombach begrüßte ihn mit den Worten „Moskau hat die Rolling Stones, Köln hat Gorbatschow“. Später erhielt der ehemals mächtigste Mann der östlichen Hemisphäre – zusammen mit Modern Talking (bestes Comeback), Guildo Horn (bester Live-Act) und Sabrina Setlur (bestes Video national) – für seine Verdienste um die Popkultur den von Viva verliehenen Medienpreis Comet. Gorbatschow brachte per Pressekonferenz aber auch sein eigenes Projekt „Russian Memories“ an den Start – und verschob damit die verloren geglaubte Diskussion um Pop & Politik gleichsam ins Internationale.

Es handelt sich bei „Russian Memories“ nämlich mitnichten um eine extended version der gorbatschowschen Memoiren, sondern um A global musical project for a better understanding. Ab 12. Oktober soll es Geld einspielen für „Green Cross“, eine Art Ökovisionweltrettungsagentur für die Zeit nach der Jahrtausendwende, und das mit „klassischen russischen Melodien im modernen Gewand“. Wie dem Faltblatt der Ini zu entnehmen ist, geht es um nicht weniger als „die Affinität der Mitteleuropäer und vor allem der Deutschen zur russischen Volksseele und Kultur in all ihren Derivaten“.

Volksseele? In all ihren Derivaten? Noch vor wenigen Jahren hätten solche Worte den Gremliza in dir wachgeküßt, heute zählt allein die kuriose Unkaputtbarkeit dieses alten Lieds der Taiga: „Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Rußland ist ein schönes Land, hohohohoho hey!“ – wie die Band „Dschingis Khan“ es einst ausdrückte. Ja, wurmt das so einen wie Gorbi denn gar nicht, „den Russen“ als ewigen Gefühlsbesoffski dargestellt zu sehen, der, wenn das Exportvolumen schon nicht stimmt, wenigstens noch Sentiment in den Westen liefern darf? Wir wissen es nicht, aber die Inszenierung – mit gecastet wirkenden Leibwächtern und Raissa an der Seite – ließ vermuten, daß er die Restelemente des Staatsmännischen in seiner neuen Rolle als Held der Popkultur zu genießen gelernt hat: „Deutschland bleibt und Rußland bleibt, es bleiben zwei große Völker.“ Wenn Dr. Motte die Verona Feldbusch des Rave ist, ist Gorbatschow zu einer Art Über-Sting des internationalen Goodwill herangereift, dessen Rhetorik jeglicher Ideologiekritik beständig entschwirrt.

Vermutlich meinte Carl Hegemann von Schlingensiefs „Chance 2000“ das mit seinem Statement: „Wir handeln mit Kategorien, die es gar nicht mehr gibt.“ Auf einem Panel zur Frage, inwieweit deutsche Politik von Tony Blairs Britpop- Wahlkampf lernen kann, sprach er sich gegen Pseudorepräsentation aus, die die Volksvertreter im Parlament seit Jahren auszeichne. Ex-CDU-MdB Stephan Schwarz und die Juso- Vorsitzende Andrea Nahles beklagten gleichermaßen das banausische Kulturverständnis und die Jugendferne ihrer Parteien. Da bricht was weg! Die SPD, so Nahles, sei jetzt immerhin „bei der gleichen Werbeagentur wie ,Lucky Strike‘“.

Was aber wäre, wenn Kurt Cobain Bundeskanzler wäre? „Dann“, so Hegemann, „wären ganz andere politische Dimensionen möglich.“ Irgendwie gruselte es die Diskutanten aber auch vor der designten Politik, selbst Hegemann, weil es dann realpolitisch ernst würde für den von Brecht abgeleiteten Ansatz von „Chance 2000“. Weshalb Christoph Schlingensief schon mal präventiv eine christlich klingende Losung an seine Wähler ausgegeben hat: „Ich werde euch bitter enttäuschen.“

Schade eigentlich, daß der Christoph selbst nicht kommen konnte. Vielleicht hätte es ihm gefallen, daß der Popkomm- Samstag mit dem Höhepunkt der Domwallfahrt 1998 zusammenfiel. Als gelte es, Medienkultur und Katholizismus – die beiden tragenden Säulen Kölns – als Standortfaktor auch ins Weichbild der Stadt hineinzutragen, pilgerten, während in der Innenstadt auf x Bühnen das sogenannte „Ringfest“ tobte, Abertausende Gläubige aus allen Himmelsrichtungen sternförmig auf das 750 Jahre alte Gotteshaus zu.

Was illustriert: Der Trend zum ganz großen Crossover hat nicht nur das politische Handeln ergriffen, längst hat er auch die beiden früheren Antagonisten Religion und Pop einander zugeführt. Von wegen Teufel und Weihwasser! „Die Zeichen erkennen“, „Aufbrechen“, „Gemeinsam unterwegs sein“ – diese Leitwörter, unter denen die Pilger den Countdown zur Domwallfahrt stellten, könnten samt und sonders auch dem Kongreßteil der Popkomm vorangeslogant sein.

Weil dieses ganze Suchen, Sehnen und Zeicheninterpretieren aber kulturgeschichtlich auf die Heiligen Drei Könige zurückgeht, thront kirchlicherseits über allem das Motto „Wir haben seinen Stern gesehen“. Nur Sabrina Setlur hat das noch griffiger ausgedrückt. Der Rap, mit dem sie anläßlich der Comet- Verleihung auftrat, heißt „Folge dem Stern“. Thomas Groß

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