Pop aus Buenos Aires: Beknackter Furz-Sound inklusive
Was der Mann alles kann! Axel Krygier weiß mit hippen Stilelementen etwas anzufangen – und wirft einen ironischen Blick auf Polka, HipHop, Techno und Jazz.
Die Logik des globalen Musikmarkts ist nach wie vor seltsam. Welche Namen fallen einem beispielsweise gut 20 Jahre nach Erfindung der Kategorie "Weltmusik" für jegliche Art von Klängen, die nicht in Großbritannien oder den USA produziert wurden, zum Thema Musik aus Argentinien ein? Womöglich keine.
Vielleicht kommen den Interessierteren die Tangogrößen Astor Piazolla, Dino Saluzzi und Carlos Gardel in den Sinn. Wer eine Zusatzausbildung in volkstümlicher Musik genießen durfte, mag Semino Rossi ins Spiel bringen. Gewiefte Spex-Leser wiederum haben schon von Juana Molina, Intro-Leser von Kevin Johansen gehört (wiewohl dieser genau genommen in Alaska zur Welt kam). Besucher der Fachmesse "Womex" (Worldmusic-Expo) werden das Folkgenre Chamamé im Allgemeinen und ihren berühmtesten Interpreten Chango Spasiuk im Speziellen erwähnen. Stammgäste des Berliner Berghain schließlich sind mit dem ZZK-Label und der argentinischen Variante der in Lateinamerika immer beliebteren Cumbia Digital vertraut.
Acts im Überfluss
Aber hat irgendjemand schon mal von Axel Krygier gehört? Es ist ein interessantes Phänomen, dass es die Pop-Szenen, egal ob Mainstream oder Underground, am schwersten haben, es über die jeweiligen Landesgrenzen zu schaffen. Es mag nachvollziehbar sein, dass für Bands wie Wir sind Helden die internationale Nachfrage überschaubar ist - solche Acts hat jedes Land im Überfluss. Und im Zweifelsfall bleibt man bei der lokalen Variante, weil ja auch das Textverständnis eine Rolle spielt. Aber auch Tocotronic, Ja, Panik, oder Erdmöbel haben wenig Chancen, die Grenzen ihres Sprachraums zu durchstoßen. Aus Deutschland will der Rest der Welt eben - wenn überhaupt irgendwas - teutonische Maschinenmusik à la Kraftwerk oder Sven Väth oder schwierigen Lärm, wie ihn die Einstürzenden Neubauten früher und Zeitkratzer heute liefern.
Was macht also ein Argentinier, der so gar kein Interesse hat, Tangos oder Milongas zu produzieren, aber auch keine digitalen Cumbias? Der sich eigentlich sowieso nicht lange an einem Ort aufhalten mag, sondern eher global denkt? Der alles kennt, was der globale Tonträgerhandel so bereithält? Und der das alles auch noch spielen kann?
Die Story, mit der man Axel Krygier womöglich auch im satten Europa verkaufen kann, ist sein offensichtliches Talent. Was der Mann alles kann! Er ist nicht nur studierter Pianist und Flötist, nein, auch aus jedem anderen Blas- und Tasteninstrument gelingt es ihm, betörende Klänge hervorzuzaubern. Geschmackssicher bewegt er sich durch unterschiedliche Stilwelten, stöbert durch Polka und HipHop, Techno und Jazz und weiß nicht nur mit all dem etwas anzufangen, sondern hat auch noch einen irgendwie europäisch anmutenden vorsichtig-ironischen Blick auf die ganze Pracht: Bevor er sich auf irgendwas zu sehr einlässt und es ihn fortzieht in die Welt der musikalischen Leidenschaft, wird das Ganze durch irgendeinen beknackten Furz-Sound erstmal wieder dem allgemeinen Amüsement preisgegeben.
Bestauntes Unikum
Das ist natürlich ein nicht ungefährlicher Pfad. Wenn man es nicht schafft, ein wenig über seine Kunst hinaus zu emotionalisieren, wird man kein Popstar. Und so ist wenig verwunderlich, dass Axel Krygier es auch in seiner argentinischen Heimat nicht zum Popstar gebracht hat. Eher zum bestaunten Unikum. Schon seit Anfang der neunziger Jahre ist er musikalisch unterwegs - zunächst mit der Band La Portuaria, mit der er vier Alben aufnahm; sein Soloalbum-Debüt erschien 1999.
Seine Produktivität ist durchaus mit der eines Prince vergleichbar. Mit Film- und Theatermusiken wird man jedoch nicht berühmt. Zumal dann nicht, wenn sie von Pop-Bewusstsein und Humor durchdrungen sind. Pop und Spaß sind auch die Fundamente von Krygiers neuem Album "Pesebre", für das jetzt das belgische Label Crammed Discs (Heimat von Bebel Gilberto, Cibelle, Konono No.1) in Europa geneigte Hörer sucht.
"Persebre" ist zunächst mal gute Unterhaltung. Mit großer Souveränität kombiniert Krygier synthetische und aufgenommene Instrumente, kreiert die abenteuerlichsten Sounds und springt von Stil zu Stil, ohne dass es jemals angestrengt oder auch nur nerdig klingt. Probleme bekommt man, wenn man nach so etwas wie einem roten Faden, einem Statement, einer Seele sucht. Krygier scheint kein künstlerisches Anliegen zu haben, es macht ihm einfach nur Heidenspaß, Musik zu machen, herumzuprobieren, scheinbar Unmögliches hinzubekommen, die Gesetze der musikalischen Gravitation zu widerlegen. Seht mal, geht doch! Diese künstlerische Heimatlosigkeit kennzeichnet seine gesamte bisherige Karriere und ist in gewisser Hinsicht ein Markenzeichen seiner Generation: Auch Juana Molina war erst Komikerin im argentinischen Fernsehen, bevor sie sich als Sängerin und Songwriterin neu erfand.
Krygier widmet sich parallel zur Musik der Malerei und der Illustration. Professionell mit dem Musikmachen begann er als Saxofonist in Kevin Johansens Gruppe Instrucción Cívica, schloss sich dann der Jazz-Folk-Fusion-Band La Portuaria an, die allerdings erst nach seinem Ausstieg richtig erfolgreich wurde. Krygier wurde 1999 für sein Debütalbum "Échale semilla!" sowohl von der bedeutendsten argentinischen Tageszeitung Clarín wie vom argentinischen Rolling Stone zum vielversprechendsten Newcomer gewählt, verlor sich dann aber in Film- und Theatermusiken.
2001 zog er für drei Jahre nach Barcelona, gründete nach seiner Rückkehr in Buenos Aires die wechselnd besetzte Gruppe Sexteto Irreal, mit der er jedoch keine Alben veröffentlichte. Dafür wirkte er an etlichen Produktionen von Freunden und Kollegen mit. Krygiers drittes Soloalbum "Zorzal" (2005) war dann vergleichsweise fokussiert und Song-orientiert. Bei seinem Europa-Aufenthalt hatte ihn vor allem das Phänomen der Überführung von Balkan-Blasmusik in einen Club-Kontext fasziniert. Prompt finden sich verstärkt Polka-Beats in seiner Musik. Nach "Zorzal" verfolgte er aufmerksam die Aktivitäten des elektronischen Labels ZZK und ging mit ihnen auf US-Tournee. Die Balkan-Beats verlor er jedoch nicht aus den Augen: Auf "Pesebre" tobt er sich in diesem Sinne auf diversen Blasinstrumenten aus. Das ist für Argentinien insofern ein nicht uninteressanter Ansatz, als das Land eine recht große Population mit osteuropäischen Wurzeln hat. Den Bogen zu Chamamé und anderen Gaucho-Polka-Fusionen schlägt er jedoch nicht, sondern eilt gleich weiter zu einer Fingerübung in Freak-Folk ("Serpentea el tren") und einem etwas albernen Instrumental mit allerlei Tierlauten ("Pesebre"). Da ist gerade mal das erste Drittel des Albums vorbei.
Wie gesagt: Die Musik wird niemals langweilig, ist vollgestopft mit Ideen und cleveren Späßen, die allerdings nicht alle gleichermaßen nachhaltig interessant sind. Krygiers Songwriting könnte definitiv ein wenig Editing vertragen, ein starker Produzent an seiner Seite würde da vielleicht Wunder wirken. Oder vielleicht wäre es umgekehrt noch sinnvoller: Krygier als Produzent, der seine multiplen Begabungen in den Dienst eines Songschreibers mit einem Anliegen stellt.
Axel Krygier: "Pesebre", (Crammed Discs/Indigo); live am 24. 10. in Bochum
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