Polizeieinsatz in Kritik: Zweifelhafte Schüsse
Opposition will Aufklärung über brutale Festnahme eines Messerträgers im Wedding. Polizisten schossen achtmal, um 50-Jährigen zu bändigen.
Nach den Polizeischüssen auf einen 50-Jährigen im Wedding fordert die Opposition Aufklärung. Grüne und Piraten bezweifeln, dass der Einsatz verhältnismäßig war. Dieser Frage gehen, wie in solchen Fällen üblich, auch die Staatsanwaltschaft und eine Mordkommission nach.
Laut Polizei war der 50-Jährige am Samstagmittag in der Antwerpener Straße mit zwei Messern und einer Axt unterwegs. Die alarmierten Beamten habe der Mann „unvermittelt bedroht“ und sich geweigert, die Waffen niederzulegen. Darauf hätten die Polizisten Pfefferspray, Schlagstock und einen Polizeihund und „mehrere Schüsse“ gegen den Bewaffneten gerichtet, erklärte ein Sprecher.
Video eines Augenzeugen
Die Szenen sind auch auf einem Video eines Augenzeugen im Internet zu sehen: Darauf umringen fünf Beamte den Bewaffneten, der am Boden sitzt, offenbar verletzt und immer noch mit einem Messer in der Hand. Ein Polizist schießt dem Mann ins Bein, ein anderer sprüht Pfefferspray, ein dritter tritt ihm schließlich von hinten ins Genick. Dann wird ein Diensthund herangeführt, verbeißt sich in seinem Arm. Danach schlägt ein Beamter noch mal mit einem Schlagstock zu. Laut Medienberichten sollen von acht Polizeikugeln drei den Mann getroffen haben, eine davon im Bauch.
Der Grüne Benedikt Lux sagte, er habe Verständnis für die Extremsituation. „Acht Schüsse werfen aber Fragen auf“, so Lux zur taz. Auch sei fraglich, ob der Tritt ins Genick noch als „Schocktritt“ galt, um den Widerstand zu brechen. Die Piraten wollen den Einsatz im Innenausschuss thematisieren. „Warum wurde nicht versucht, den Mann mit alternativen polizeilichen Mitteln zu überwältigen?“, fragt deren Innenexperte Christopher Lauer. „Warum kamen das SEK nicht zum Einsatz oder geschulte Psychologen?“
Der 50-Jährige liegt seit der Festnahme im Koma, laut Polizei besteht keine Lebensgefahr mehr. Zur Verhältnismäßigkeit wollte sich ein Sprecher nicht äußern, solange die Prüfungen des Einsatzes andauerten. Diese sollen auch klären, warum der Mann bewaffnet war.
Schon 2008 hatten Polizeischüsse für Diskussionen gesorgt. In Schönfließ, nördlich von Berlin, erschoss ein Beamter bei einem Festnahmeversuch einen Neuköllner Jungkriminellen. Der Polizist wurde wegen Totschlags zu zwei Jahren Haft verurteilt, ausgesetzt auf Bewährung. Straffrei kam ein Beamter davon, der im August 2011 eine 53-Jährige in Reinickendorf erschossen hatte. Die Staatsanwaltschaft wertete das als Nothilfe. Die Frau hatte sich mit einem Messer gegen eine Einweisung in die Psychiatrie gewehrt.
Insgesamt schossen 2011 Berliner Polizisten fünfmal auf Personen, neben der Toten wurden drei Personen verletzt. 2010 waren es ebenfalls fünf Schüsse. Dabei wurden eine Person getötet und vier verletzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?