: Polizei steckt Autos an
■ „Lebensechte“ Polizeiübung in Bremerhaven: Auf der Rickmerswerft wurden Feindbilder erst aufgebaut und dann abgeräumt / Verfassungsschutz observiert
Wenn es dem Esel zu wohl wird, tut er was? Na eben. Und was tut die Polizei, wenn sie von einem solchen Gemütszustand heimgesucht wird? Sie veranstaltet 'ne geile Demo, 'ne richtige Ernstfallübung mit echt Randale und so. Also die richtigen Polizisten, die wissen ja genau, wie Knüppel zu schwingen und Knebbelketten anzulegen sind, die brauchen das natürlich nicht. Aber was ist mit all denen, die solch kunstfertiges Handwerk noch erlernen müssen? Für die entwickelt dann die Hochschule für Öffentliche Verwaltung so richtig lebensechte Übungen.
Nehmen wir mal an, Sie wären Ausbilder an eben dieser Hochschule und hätten das Lernziel „Feindbilder erst aufbauen, dann abräumen“, welches Szenario würden Sie wählen? Na klar. 1. Wir brauchen Demonstranten,
schwarzgekleidete. 2. Die wollen gegen einen Lebensnerv unserer Industriegesellschaft protestieren. 3. Nach Abschluß der Veranstaltung lösen sich ein paar Vermummte, werfen Autos um und schmeißen mit Hartem. 4. Die Polizisten begeben sich auf die Hatz, um die Randalierer einzufangen und sperren sie in einen Bus.
Wenn Sie so viel Polizeididaktik beherrschen, sind die Voraus
setzungen für eine Bewerbung als Ausbilder schon mal allerbest. Dann dürfen Sie sich das Geschehen vor Ort angucken und wären vermutlich am Donnerstag in Bremerhaven auf dem Gelände der Rickmers-Werft gelandet.
Die etwas gespenstische Atmosphäre einer stillgelegten Werft: Eine Hundertschaft der Polizei drückt sich in den Ecken der Nebenstraßen herum. Aus einem Lautsprecher schallen Parolen. Demonstranten zeigen Transparente: „Deutsche Polizisten schützen die Chemisten.“ und: „Weg mit Formelhausen.“ Auf dem Dach lauert Verfasungsschutz, läßt die Kamera surren. Kaum ist die Kundgebung zu Ende, rotten sich die Demonstranten zusammen. Vermummte werfen mit Wasserbeuteln um sich. Autos brennen. Polizisten gehen auf die Jagd, schnappen sich die brutalen Antichemisten, werfen sie zu Boden, führen sie ab. Verletzte: keine. Lediglich ein Feuerwehrmann wird von einem Wasserbeutel am Kopf getroffen. „Das wird ihm eine Lehre sein“, urteilt ein ansonsten zufriedender Einsatzleiter, der Hauptkommisar Peter Anders, am Ende der Aktion beim gemeinsamen Mittagessen mit den Demonstranten.
Diese Bösen sind über das gemeinsame Räuber und Gendarm -Spiel genauso zufrieden, wie die Guten. Schließlich kommen auch Polizeianwärter nicht alle Tage zum Austoben an die frische Seeluft. Und Einsatzleiter Anders meint zu der „lebensechten Übung“: „Ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung.“
Und wann braucht die Polizei zum Beispiel in Bremerhaven die Erkenntnisse der selbstgemachten Randale? „Bei Demos sind wir hier Waisenkinder“, weiß ein Polizeisprecher zu berichten. Als ein Jugendtreff geschlossen wurde, da war mal Demo in Bremerhaven, kramt er in seinem Gedächtnis. Und Ostermarsch natürlich. Und 1. Mai. Aber damit in Bremerhaven mal so 'ne richtig brutale Eselei stattfindet, da muß sich die Polizei schon mal selbst bemühen.
hbk
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