Politologe über Italiens Parteiensystem: "Die Mauer von Arcore"

Berlusconi spaltet die italienische Wählerschaft, meint Ilvo Diamanti. Der Politologe wünscht sich einen Patt, damit Christdemokraten und Kommunisten aufeinander zugehen.

Spaltet die italienische Wählerschaft mit der "Mauer von Arcore": Silvio Berlusconi. Bild: dpa

taz: Im gerade zu Ende gehenden Wahlkampf spielte das "Gegen Berlusconi" kaum eine Rolle. Heißt das, dass Italien Silvio Berlusconi als normalen Politiker akzeptiert hat?

Ilvo Diamanti: Darauf wollen wohl alle von links bis rechts im Wahlkampf hinaus - auch wenn es eigentlich nicht wahr ist. Heute redet man gerne davon, dass der Antiberlusconismus den zweifachen Ministerpräsidenten dämonisiert, um so seine Andersartigkeit zu unterstreichen.

War das erfolgreich?

Bedingt, denn es kam zugleich auch Berlusconi zugute, der so ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung rückte, alles dreht sich um ihn. Ich habe das einmal auf die Formel gebracht: Bis 1989 gab es die Berliner Mauer, in Italien gibt es die Frontstellung zwischen der Christdemokratie und den Kommunisten. Berlusconi ist es also gelungen, die Berliner Mauer durch die "Mauer von Arcore" zu ersetzen. Arcore ist ein Dorf in der Nähe Mailands, in dem sich Berlusconis Residenz findet.

Was bedeutet das für die Wählerschaft in Italien?

Berlusconi hat die freie Zirkulation der Stimmen zwischen den beiden Lagern verhindert. Das ist das bleibende Problem in Italien: Die Menschen verharren bei den Wahlen in ihren Blöcken. Damit Bewegung entsteht, muss die Mauer von Arcore fallen. Auch wenn Berlusconi eine völlige Anomalie darstellt, muss man ihn deshalb "normalisieren". Das hat Veltroni ganz richtig erkannt.

Was war das vorherrschende Thema des Wahlkampfes?

Genau besehen hat es kein vorherrschendes Sachthema gegeben. Vorherrschend war diesmal, dass die Wähler mit einem neuen politischen Angebot konfrontiert sind, mit der Demokratischen Partei Walter Veltronis und - in Reaktion auf sie - mit dem im "Volk der Freiheit" geeinten Lager Berlusconis.

In Italien redet man viel von der "antipolitica", von der Politikverdrossenheit. Wenden sich tatsächlich immer mehr Menschen von der Politik ab?

Wirkliches Vertrauen in einen politischen Aufbruch herrschte in den Jahren 1992 bis 1994, als unter dem Druck der Korruptionsermittlungen das Parteiensystem der Ersten Republik zusammenbrach. Danach haben die Wähler wieder in festen Blöcken abgestimmt, alles war wieder wie eingefroren. Die Wähler, die jetzt wachsende Politikverdrossenheit äußern, sind meist nicht "antipolitisch", sondern verlangen im Kern eigentlich nach einer anderen Politik.

Was sollte man sich wünschen - ein klares Ergebnis, das einem der Lager erlaubt, energisch Reformen umzusetzen? Oder ein Patt, das einen Kompromiss erzwingt?

Am besten für Italien wäre es, wenn keiner siegt. 2001 bis 2006 zum Beispiel hatte Berlusconi im Parlament eine klare Mehrheit - dennoch erreichte er politisch fast gar nichts. Ich wünsche mir, dass die beiden politischen Lager endlich zur Kooperation gezwungen sind. Bei uns bewegte sich nur dann etwas, wenn ein Notstand, wenn äußerer Druck herrschte - zum Beispiel, als Italien unter Prodi 1997 den Beitritt zum Euro schaffen musste. Wir brauchen endlich von allen Lagern getragene Reformen.

Und wenn es anders kommt?

Die nächste Legislaturperiode ist die letzte Chance, die diese politische Klasse hat. Ich habe die Hoffnung, dass diese Wahlen den Auftakt zu einer neuen Phase darstellen. Anderenfalls würde der Wunsch der Wähler nach einer anderen Politik übermächtig.

Interview: MICHAEL BRAUN

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