Politologe über Italiens Linksopposition: "Die Gefahr der Auflösung ist real"
Die große, linke Oppositionspartei PD kann den sozialen Bewegungen Italiens keinen Anknüpfungspunkt bieten, kritisiert der Politologe Piero Ignazi.
taz: Herr Ignazi, die letzte Regierungskrise, die am Dienstag mit dem Vertrauensvotum für Silvio Berlusconi endete, war im Kern ein politischer Zusammenstoß innerhalb der Rechten, zwischen Berlusconi und seinem früheren Partner Gianfranco Fini. Welche Rolle spielte eigentlich die große linke Oppositionskraft, die Demokratische Partei (PD)?
Piero Ignazi: Gar keine. Die PD glänzte durch Abwesenheit, sie hatte keine Vorschläge, die die politische Auseinandersetzung hätten beeinflussen können. Wir erleben da eine Partei in tiefer Krise, die durch ihre inneren Gegensätze blockiert wird.
So geht es ja den meisten Parteien der gemäßigten Linken in Europa. Überall sind die sozialdemokratischen Kräfte in der Krise. Italien wäre da keine Ausnahme - oder?
Piero Ignazi, 59, ist Professor für Politikwissenschaften in Bologna, Parteienforscher und seit 2009 Chefredakteur der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift "Il Mulino".
Doch, Italien stellt durchaus einen Sonderfall dar. Immerhin hatte die PD bei ihrer Gründung 2007 - als die Fusion zwischen den Linksdemokraten und der Mittepartei "Margherita" erfolgte - ja für sich reklamiert, über sozialdemokratische Horizonte hinausgegangen zu sein, etwa mit dem Pakt zwischen sozialdemokratischem und linkskatholischem Reformismus. Das kam sehr ambitiös daher, da wurde der Anspruch geäußert, die PD könnte auch über Italien hinaus ein Modell für die Linke des 21. Jahrhunderts sein. Dieser Anspruch darf als gescheitert gelten, weil jede programmatische Unterfütterung ausblieb.
Eigentlich stand die PD vor zwei Jahren doch gar nicht so schlecht da. Zwar hatte Berlusconi die Wahlen gewonnen, aber die PD hatte 33 Prozent erzielt. Mehr noch: Die radikale Linke war aus dem Parlament verschwunden - und die PD konnte so zur großen Linkspartei aufsteigen. Warum hat das nicht geklappt?
Die parteiinternen Feinde des damaligen Vorsitzenden Walter Veltroni gingen sofort nach den Wahlen hin und erklärten unermüdlich, die Partei habe eine furchtbare Niederlage erlitten, und das, obwohl sie mit 33 Prozent das beste Resultat erreicht hatte, das einer gemäßigt linken Partei in Italien je gelang. Von da an hat sich die Partei nur noch mit ihren inneren Konflikten beschäftigt, bis Veltroni zurücktrat. Jetzt ist Pier Luigi Bersani Vorsitzender, aber weiterhin verharrt die Partei in ihrer tiefen Depression.
Neben und außerhalb der PD ist ja einiges in Bewegung: Zum Beispiel das "MoVimento 5 Stelle" des Komikers Beppe Grillo, zum Beispiel das Popolo Viola, die "lila Leute", die vor einem Jahr aus dem Stand hunderttausende Menschen gegen Berlusconi auf die Straße brachten, zum Beispiel jetzt die mächtige Protestbewegung an den Unis. Warum gelingt es der PD nicht, aus diesem Bewegungen neue Kraft zu saugen?
Man muss den Befund der Depression ernst nehmen, gleichsam als psycho-politischen Befund. Die Depression hindert die Partei an jeglicher Initiative. Einem unter Depression Leidenden fällt es ja schon schwer, auch nur einen Arm zu heben. Die Partei ist nicht in der Lage, den genannten Bewegungen irgendeinen Anknüpfungspunkt zu bieten. Schlimmer noch: Wenn sie es täte, brächen sofort heftige interne Konflikte über die richtige Haltung zu diesen Bewegungen auf. Am Ende behandelt die Partei dann jede außerhalb ihrer Reihen stehende Opposition zu Berlusconi ausschließlich als Konkurrenz.
In den letzten Wochen machte die parteiinterne Bewegung der "Verschrotter" um den 35-jährigen Bürgermeister von Florenz Matteo Renzi viel von sich reden. Renzi fordert einen radikalen Generationenwechsel und damit die "Verschrottung" der bisherigen Führungsgarde. Eine Perspektive für die Partei?
Die Partei bräuchte dringend eine radikale Erneuerung, so gesehen hat Renzi völlig recht. Zugleich ist unübersehbar, dass bei ihm Narzissmus und persönliche Ambitionen eine große Rolle spielen. Für sich genommen wäre auch dies noch politische Normalität. Und der Partei kann der von Renzis Bewegung ausgehende Enthusiasmus nur gut bekommen. Auf der Versammlung in Florenz vor einigen Wochen waren tausende Teilnehmer, da atmete man echte Aufbruchstimmung. Aber inhaltlich hat Renzi bisher keinerlei überzeugende Vorschläge.
Ihr Befund klingt so, als gebe es ernste Gründe zur Besorgnis. Wird es in drei oder fünf Jahren die PD überhaupt noch geben?
Die Sorge um das Überleben der Partei ist durchaus real. Gut möglich, dass die PD implodiert, dass sie zerbricht. Und danach? Denkbar ist, dass die Partei der Linksdemokraten wiederbelebt wird. Aber ganz gewiss riskiert die Linke dann, im italienischen Parteiengefüge immer marginaler zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren