Politische Performance: Kunststempel für Palästina
Der Künstler Khaled Jarrar aus Ramallah verteilt am Checkpoint Charlie Einreisestempel für Palästina. Kollegen und Touristen sind angetan von der Aktion.

Der Amerikaner Tom Levy wirbt am Checkpoint Charlie für seine Stempel-Souvenirs: "Stamps, Ladies and Gentlemen, stamps!" In Retro-Uniform der US-Grenzsoldaten steht er am ehemaligen DDR-Grenzübergang und witzelt mit den Passanten. Ein Tourist kauft Levy für fünf Euro ein kleines Stück Papier ab, ein nachgedrucktes DDR-Reisedokument mit gefakten Einreisestempel des US-amerikanischen Sektors. Ein paar Meter entfernt steht Khaled Jarrar. Auch er verteilt Stempel, allerdings für null Euro. Der Künstler spricht die Touristen mit seinem Angebot an: "Für den Staat Palästina habe ich diesen Stempel entworfen. Darf ich Ihren Pass stempeln?"
Dass Levy und Jarrar beide symbolische Stempel ohne rechtliche Wirkung verteilen, ist eine ihrer wenigen Gemeinsamkeiten. Aber Levys Stempel ist nostalgisch, Jarrirs Stempel bestenfalls utopisch. Er symbolisiert die Grenzkontrolle eines Staates, der nicht als solcher anerkannt ist und deswegen keine Grenzkontrollen durchführen darf. Jarrars Botschaft: "Ich will, dass die Existenz des Staates Palästina und der Palästinenser anerkannt wird." Der Wunsch Jarrars ist derzeit wieder Thema der internationalen Politik. Die Arabische Liga hat letzte Woche angekündigt im September bei den Vereinten Nationen die Anerkennung Palästinas als unabhängigen Staat zu beantragen.
Warum es wichtig ist, dass Palästina als Staat anerkannt wird und über seine Grenzen bestimmen darf, erklärt Bishara Sabbagh, der seinen Kollegen am Checkpoint besucht. Sabbagh arbeitet neben seiner Dozentenstelle wie Jarrar als Künstler. Er emigrierte vor 30 Jahren aus Palästina nach Berlin. "Ich habe zwei Brüder, der erste lebt in Ramallah, der zweite in Jerusalem. Obwohl sie nur 25 Kilometer voneinander entfernt leben, müssen sie ein bis zwei Stunden mit dem Auto fahren, um sich zu besuchen." Grund sind die Grenzkontrollen um das westjordanischen Ramallah. Eine Fahrt, die sonst maximal 30 Minuten dauern würde, werde so zu einer langwierigen Reise. "Die Mauern der Isralelis sind so hoch, man könnte vermuten, dahinter stehe King Kong", sagt Sabbagh. Die Palästinenser seien unglücklich, weil sie bei jeder Ausreise aus dem Westjordanland die Erlaubnis der Israelis einholen müssen. "Hervorragend" findet Sabbagh dafür die Aktion von Jarrar am Checkpoint, wo im Gegensatz zu dortigen Grenzübergängen eine fröhliche Stimmnung herrsche: "Man wünscht sich für Palästina 1000 Checkpoint Charlies."
Jarrar stempelt der Schweizerin Gutelia Kobelt in den originalen Reisepass. "Ich bin für einen Staat Palästina und mache aus Solidariät bei der Aktion mit", sagt Kobelt. Am Ende der dreistündigen Aktion kommen 20 gestempelte Pässe zusammen. In seiner Heimat hat Jarrar über 40 Stempel verteilt. Er dokumentiert alle Stempel mit seiner Kamera und lässt sich die E-Mail Kontakte der Passinhaber geben.
Sogar sein Konkurrent Tom Levy lässt sich seinen US-amerikanischen Pass mit dem Palästinastempel verschönern. "Ich bin ein bisschen verunsichert, was die amerikanischen Behörden bei meiner nächsten Einreise sagen werden, aber es schaut einfach cool aus."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell