: Politisch und gesellschaftlich Beton
■ betr.: "Der rote Schal und das Fett", Kommentar von Götz Aly, taz vom 2.7.90
betr.: „Der rote Schal und das Fett“, Kommentar von Götz Aly, taz vom 2.7.90
Werter Götz Aly, bist Du eigentlich gelegentlich die Zeitung, in der Du schreibst? Oder hast Du ein schlechtes, weil kurzes Gedächtnis? Die Fragen stellen sich mir, weil Du in besagtem Kommentar zu Mompers politischem Fingerspitzengefühl formulierst: „So recht Momper noch während des Kita-Streiks hatte und es nicht zuließ, daß das Budgetrecht des Parlaments via Tarifvertrag ausgehebelt wurde, so unrecht...“ und so weiter.
Weswegen der zehnwöchige erfolglose Kita-Streik diese Koalition und diesen Herrn Momper trotzdem politisch viel gekostet hat, das ist gerade das fehlende sichere Gefühl für richtig und falsch in dieser Frage. Kein Mensch - und auch nicht die taz - behauptet sonst, daß dieser Kita -Tarifvertrag Parlamentsrechte beschneidet. Im Gegenteil. Zu dem ähnlichen Leistungs-Tarifvertrag bei der Post wurde höchstrichterlich bestätigt, daß sich Gewerkschaften darum bemühen dürfen mitzubestimmen, wieviel die Beschäftigten während ihrer Arbeitszeit zu arbeiten haben. Wäre ja auch noch schöner, wenn Gewerkschaften das nicht dürften. Wozu wären sie sonst da? Schlimm ist, daß Gewerkschaften sich viel zuwenig um das Thema Arbeitsintensität gekümmert haben. Besonders im öffentlichen Dienst, denn hier gilt wie in der gesamten bundesrepublikanischen Gesellschaft das Leistungsprinzip, sprich: je härter und aufzehrender die Arbeitsbedingungen, um so schlechter die Bezahlung.
Und gerade in den „sozialen“ Berufen mit über 90 Prozent Frauen ist oft die Arbeitsintensität das wichtigere Thema vor der Bezahlung. So auch bei den Westberliner ErzieherInnen. Die Finte mit dem Budgetrecht hat der Momper -Senat selbst nie richtig ernstgenommen, sonst hätte er den Streik gerichtlich unterbunden. Nein: Der Mann mit dem roten Schal hat weder die 5.000 streikenden Frauen in ihren Forderungen noch die Bedeutung der Tarifautonomie für die BRD-Gesellschaft noch die Bedeutung von Kindertagesstätten für ein funktionierendes menschliches (West)Berlin verstanden. Und das ist politisch und gesellschaftlich Beton.
Martin Cramer, Berlin (West)
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