■ Politikverdrossenheit: Wie alles anders werden kann: Wildbirnen auf unseren Bildschirmen
Allerorten wird gejammert und geklagt, weil das Interesse an deutscher Politik zunehmend abnimmt – und das, obwohl sich unsere Polit-Prominenz zur Zeit keine Ruhe gönnt und unermüdlich durch die Lande tingelt. Allerdings sorgen Politiker auch kaum noch für Aufregung, was ein Blick auf das vergangene Wochenende beweist. Denn was stellen die Damen und Herren so an, wenn sie unterwegs sind?
Die Nachrichtenlage am Sonntagabend...
– Christiane Herzog, die Frau unseres Bundespräsidenten, wurde am Samstag zur „Küchenfrau des Jahres“ ernannt. Für ihre Verdienste um die Küchen- und Eßkultur erhielt sie 100.000 Mark von einem Küchenhersteller. Das Preisgeld fließt in die Herzogsche Mukoviszidose-Stiftung
– Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber empörte sich in der Bild-Zeitung: „Ich bin empört über die Schweinereien und Gewaltdarstellungen vor allem in Talkshows und Seriensendungen am hellen Nachmittag!“
– Bundesfamilienministerin Claudia Nolte schrieb einen Artikel für die Schundschrift Super-Illu, in dem sie an die TV-Verantwortlichen appellierte, „diesem Schund auf der Mattscheibe endlich ein Ende zu setzen oder ihn wenigstens auf die Zeit nach 21.00 Uhr zu vertagen“. Außerdem gab sie dem Süddeutschen Rundfunk ein Interview. Wo Gewalt auftrete und Schüler mit Waffen in den Unterricht kämen, gehörten alle Schüler, Lehrer und Eltern an einen Tisch, um die Ursachen zu ergründen und über Maßnahmen gegen die Gewalt zu sprechen, sagte sie. Die Lehrer dürften nicht allein gelassen werden, auch die Kultusminister und Landesregierungen insgesamt seien gefordert
– Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt durfte in Shanghai den ersten Spatenstich für den Bau des neuen German Centre machen und das Interesse Deutschlands an stärkeren Wirtschaftsbeziehungen zu China bekräftigen
– Die Brandenburger Minister für Forsten und Umwelt, Gunter Fritsch und Matthias Platzeck, pflanzten im Gestütswald von Neustadt/Dosse (Kreis Ostprignitz-Ruppin) je eine Wildbirne, womit sie die Verbreitung dieses äußerst selten gewordenen Obstgewächses fördern wollen
Nennen wir das interessant? Kann hier die Rede von einem politisch aufregenden Wochenende sein? Eben. Dabei wäre es so leicht gewesen, diese armselige Nachrichtenlage aufzubessern – durch konsequenten Rollentausch. Und dann hätte die Bilanz des Frühlingsbeginns vielleicht anders ausgesehen.
...könnte ein Rollentausch entschieden verbessern
– Gemeinsam mit Alfred Biolek kochte Christiane Herzog, die Frau unseres Bundespräsidenten, in Shanghai den Grundstein des Germans Centers. Beide konnten nur mit gezielten Spatenhieben von der Baustelle vertrieben werden
– Die Brandenburger Minister für Forsten und Umwelt, Gunter Fritsch und Matthias Platzeck, stellten für eine Fotoserie der Zeitschrift Super-Illu Schweinereien und Gewaltszenen nach. Mit den z.T. recht pikanten Bildern wollen die beiden „ein Zeichen gegen Schund und Showinismus setzen“. Das Honorar spendeten die beiden „Naturtalente“ (Super-Illu) zu gleichen Teilen dem Südeutschen Rundfunk und China
– Bundesfamilienministerin Claudia Nolte wandte sich in einem Interview mit dem German Center entschieden gegen Wildbirnen in deutschen Schulen. Wo Wildbirnen aufträten und Schüler mit Wildbirnen in den Unterricht kämen, gehörten alle Schüler, Lehrer und Eltern an einen Tisch, um die Ursachen zu ergründen und über Maßnahmen gegen die Wildbirnen zu sprechen, sagte sie. Die Lehrer dürften mit dem Wildbirnenproblem nicht allein gelassen werden, auch die Kultusminister und Landesregierungen insgesamt seien gefordert
– Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber wurde zur Küchenfrau des Jahres gewählt. In seiner Dankesrede forderte Stoiber, Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt im Gestütswald von Neustadt/Dosse (Kreis Ostprignitz- Ruppin) ein Ende zu setzen oder aber ihn nur noch nach 21 Uhr zu Wort kommen zu lassen.
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