Politiker über Antiziganismus in Ungarn: "Menschenrechtler haben provoziert"
Die neue "Romastrategie" verschärft die Lage der Roma in Ungarn. Staatssekretär Zoltán Balog will lieber rechtsextreme Wähler für die Demokratie wiedergewinnen.
taz: Herr Balog, wie ist die Situation der Roma anderthalb Jahre nach Fidesz' Machtantritt?
Zoltán Balog: Ihre soziale Situation ist in den letzten 20 Jahren immer schlechter geworden. 85 Prozent der Männer haben kein offizielles Arbeitsverhältnis. Was die Bildungssituation anbetrifft, ist da eine positive Wende eingetreten: Seit Ende der 1990er Jahre haben immer mehr Kinder acht Schuljahre abgeschlossen. Heute sind das 95 Prozent.
Was tut Ihre Regierung, um die Lage der Roma zu verbessern?
wurde 1958 geboren und ist derzeit Staatsminister für soziale Inklusion im Ministerium für öffentliche Verwaltung und Justiz. Von 1998 bis 2002 war der studierte Theologe Chefberater des damaligen und heutigen Ministerpräsidenten Viktór Orban. Von 2006 bis 2010 war Balog Abgeordneter der Fidezs im ungarischen Parlament und Vorsitzender des Ausschusses für Minderheiten, Menschenrechte und religiöse Angelegenheiten.
Wir sind mit einer klaren Strategie angetreten, in deren Zentrum Beschäftigung- und Bildungsprogramme stehen. Wir haben das größte Stipendienprogramm der vergangenen 20 Jahre aufgelegt. Diese beiden Initiativen können jetzt noch keine Wirkung zeigen, sie sind aber wesentliche Bestandteile der Strategie. Das andere ist die Aufarbeitung der Vergangenheit. Diese Roma-Morde 2008 und 2009 waren furchtbare Vorfälle, die Ungarns Ruf beschädigt haben. Die alte sozialistische Regierung hat mehrere Jahre recherchiert - und nichts herausgefunden. Im Gegenteil: Sie versuchten diese Sache zu vertuschen. Die neue Regierung hat gesagt: Hier müssen wir grundsätzlich handeln, das heißt, auch die Rolle von Polizei und Staatsanwaltschaft muss kritisch untersucht werden. Jetzt sind die mutmaßlichen Täter gefasst, es gibt einen Prozess, und wir haben ein Training für Polizisten eingerichtet, damit sie rassistisch motivierte Straftaten besser erkennen und untersuchen können.
Wirbt Ihre Regierung für Toleranz gegenüber den Roma?
Es ist sehr wichtig, dass sich Politiker offen hinter eine Volksgruppe stellen. Immer, wenn Jobbik in Anwesenheit von Ministerpräsident Viktor Orbán im Parlament etwas Rassistisches sagt, steht der auf und weist das zurück.
Wie ist das Verhältnis von Fidesz zu Jobbik?
Jobbik versucht, soziale Spannungen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Roma für sich auszunutzen. Wir können und wollen diesen Weg nicht gehen. Aber: Bürger, die Jobbik wählen, sind für mich keine Jobbik-Leute, sondern Menschen, die getäuscht worden sind. Wir müssen sie für die Demokratie wiedergewinnen.
Im vergangenen Frühjahr mussten Hunderte Roma aus der Ortschaft Gyöngyöspata evakuiert werden, nachdem Rechtsextreme sie massiv bedroht hatten. Sie werden mit Äußerungen zitiert, dass dieser Vorfall von einigen Medien provoziert worden sei und dass der US-Amerikaner, der die Busse für die Evakuierung besorgt hatte, darauf aus war, die Situation weiter anzuheizen …
Das war eine falsche Meldung von irgendeiner Nachrichtenagentur. Im Untersuchungsausschuss habe ich zwei Sachen gesagt: zum einen, dass das eine Provokation der extremen Rechten war. Jobbik wollte politisches Kapital aus Spannungen zwischen Roma und Nichtroma schlagen. Leider ist diese Rechnung fast aufgegangen. Aber auch sogenannte Menschenrechtler haben provoziert. Denn diese Evakuierung, das war eine Übertreibung der Situation. Die Medien haben nur über den zweiten Aspekt berichtet.
Übertreibung? Die Polizei hat nur zögerlich eingegriffen …
Am Anfang stand die Polizei in der Tat etwas ratlos da. Aber sie hat auch einen richtigen Zusammenstoß verhindert. Fünf Personen wurden festgenommen, dem Gericht übergeben - und innerhalb einer Stunde wieder freigelassen. Mit der Begründung, es gebe keine gesetzliche Grundlage, sie weiter festzuhalten. Und was haben wir gemacht? Innerhalb einer Woche wurde ein Gesetz gegen paramilitärische Gruppen verabschiedet. Seitdem ist jeder zu bestrafen, der in Uniform einer Minderheit Angst einjagt.
Wie steht die ungarische Mehrheitsgesellschaft Ihrer Meinung nach zu den Roma?
Grundsätzlich negativ, aber da ist Ungarn nicht das einzige Land.
Aber wir sprechen jetzt über Ungarn.
Unserer Region hat sich in den letzten 20 Jahren leider nicht so entwickelt, wie sich die Menschen das erhofft hatten. Drei Millionen unserer Bürger leben unter der Armutsgrenze. Das sind mehrheitlich ethnische Ungarn. Es gibt eine starke soziale Frustration, und die stärkt eine Angst: Ich werde auch so, wie du bist. Ich sehe bei dem anderen einen Status, den ich nie haben wollte, aber ich komme diesem Status immer näher. Dass in einer solchen Situation Menschen meinen, andere hassen zu müssen, damit sie sich besser fühlen, finde ich schlimm. Das gilt übrigens auch für einige Dinge, die meine Regierung tut.
Welche zum Beispiel?
Warum sollte ich das in Deutschland erzählen? Ich sage das zu Hause. Abgesehen davon bin ich mit der Regierung solidarisch. Und solange ich meine, für meine Arbeit eine Chance zu haben, bleibe ich dabei.
Leser*innenkommentare
Hari Seldon
Gast
@gnarly: Ihre "massiv bedrohten Romas" haben gerade vor einigen Tagen eine Massenschlägerei auf den Strassen in Gyöngyöspata durchgeführt. Ca. 100 Romas haben sich gegenseitig mit verschiedenen "Hilfsmitteln" geprügelt. Am Ende mussten ca. ein Dutzend Romas in Krankenhaus geliefert werden. Keine Rechtsextremisten in einem mindestens 50 km Umkreis waren dabei. Bitte, meinen Sie, dass Romas mit solchem "Schlagkraft" durch 8 Wanderern (darunter 3 Kindern) "massiv bedroht" waren? Die traurige Wahrheit ist, dass die alteingesessenen (nicht Roma) Bewohnern sind STÄNDIG durch die zugewanderten Romas massiv bedroht. Falls die Bevölkerung sich wehrt, dann geht es sofort um "Rassismus", "Faschismus", "Menschenrechtverletzungen", usw. Augenscheinlich haben Menschenrechte nur einige Ausgewählte. "Alle sind gleich, aber einige sind noch gleicher"...
Gnarly
Gast
herr seldon,
get real.sie glauben aber auch jeden müll,den ihnen eingeflüstert wird:)
Karl
Gast
Diese Rassistische Eskalation in Ungarn ist nicht zuletzt dem Geselschaftlich Aktzeptierten Alkohlmissbrauch zuzuscheiben .
Die ökonomisierung des Sozialem tut ihr übriges.
Gibt es ein anderes Land in dem mehr Sonderschulen und Kinderheime Existieren?
90% der Ungarischen Bevölkerung besitzen nur 10% des Volksvermögens .
Hari Seldon
Gast
Zitat aus dem Artikel: "Im vergangenen Frühjahr mussten Hunderte Roma aus der Ortschaft Gyöngyöspata evakuiert werden, nachdem Rechtsextreme sie massiv bedroht hatten. Sie werden mit Äußerungen zitiert, dass dieser Vorfall von einigen Medien provoziert worden sei und dass der US-Amerikaner, der die Busse für die Evakuierung besorgt hatte, darauf aus war, die Situation weiter anzuheizen …"
8 (acht) sogenannten "rechtsextremen Personen" (davon drei Kindern) hätten die "hunderten von Roma massiv bedroht"... Und ein US-Amerikaner (ein Immobilienspekulant, welcher in Ungarn die Gründung eine neue linksliberale Partei auf der Ruinen der früheren linksliberalen Partei finanziert hat) wollte die gleiche "Menschenrechte Masche" wie in Libyen oder in Syrien verkaufen. Leider war der linksliberale Mainstream-Media dabei sehr behilflich. Übrigens hat der Immobilienhaie den Roma gesagt, dass die eine kostenlose Urlaubsreise erhalten würden(!). Dann hat der gute Mann die Mainstream-Medien vor Ort bestellt, und wurden "Menschenrechtverletzungen"verkauft. Seitdem ist die "Menschenverletzung"-Masche die alternative Ausdruckweise für Lügen in Ungarn (mit Recht).
Die Finanzierung der Gründung einer politischen Partei zeigt deutlich, wie die Maffia sich in die Politik einkaufen will. Es ist auch zu bemerken, dass besagte der US-Amerikaner gewisse Meinungsunterschiede mit den Baubehörden in Ungarn hätte, weil sein lukratives Immobilienprojekt (wegen Wiederstand aus der Bevölkerung) nicht genehmigt wurde. Dann kam der nette Erpressungsversuch "Menschenrechtverletzungen"...
mike charles
Gast
wenn ich in einem land lebe, ordne ich mich den gesetzlichen gegebenheiten unter. ein demokratischer rechtsstaat kann nur existieren, wenn sich die bevoelkerung an die gueltigen gesetzen orientiert und seine lebensweise daran bindet und das gilt fuer jedes demokratisch regiertes land dieser erde.
fuer diktatorisch regierte laender gilt das nicht, hier bedarf es einer friedlichen revolution. eine demokratie kann nur existieren, wenn geben und nehmen ausgewogen ist.
mike charles